Mordrausch
und reichte sie Weather.
»Ist einer von ihnen der Typ, den du gesehen hast?«
Weather schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Der Mann hatte dichte Haare bis zu den Schultern, fast … Wie bist du auf die beiden gestoßen?«
»Jemand hat sie ermordet. Einer hat Kratzer am Bein, und sie waren bei den Seed.«
Weather bekam eine Gänsehaut. »Möglicherweise sind es die Räuber, aber ich glaube nicht, dass das der Beifahrer ist. Könnte der Fahrer sein. Von dem habe ich bloß den Bart gesehen.«
»Ist vielleicht gar nicht schlecht«, sagte Lucas zu Marcy. »So haben wir immer noch ein Druckmittel gegen den dritten Mann.«
Virgil aß in der Kälte auf der Veranda ein Gebäckstück, als sie nach Hause kamen. Jenkins stellte den Wagen hinter einem braunen Cadillac auf der Straße ab, und Lucas lenkte den Truck in die Garage.
Jenkins, der mit knirschenden Schritten die Auffahrt heraufstapfte, fragte Virgil: »Ist Shrake drinnen?«
»Kennst du sonst noch jemanden mit einem braunen Cadillac?«
»War ein Schnäppchen«, erklärte Jenkins.
»Hoffentlich.« Virgil kaute den letzten Bissen und ging Jenkins voran ins Haus. Lucas und Weather betraten es durch die hintere Tür. Sie trafen sich alle in der Küche, wo Shrake und Letty, Lucas’ und Weathers fünfzehnjährige Tochter, am Frühstückstisch Rommé spielten.
Shrake, ein ebenso kräftiger Mann wie Jenkins, starrte hemdsärmelig, eine .40er Smith im Schulterholster, unverwandt seine Karten an.
»Wer gewinnt?«, erkundigte sich Weather.
»Stör uns nicht«, erwiderte Letty. »Wenn ich verliere, muss ich den Büstenhalter ausziehen.«
Shrake richtete sich kerzengerade auf und sah zuerst Letty und dann Weather mit offenem Mund an, bevor er stöhnte: »Mein Gott, allein der Aufenthalt hier ist gefährlich.«
»Dass du das auch schon merkst«, murmelte Lucas. »Leute, es gibt Neuigkeiten …«
»Und was ist mit mir und meinem Büstenhalter?«, fragte Letty.
»Dein Problem«, antwortete Lucas. »Halt jetzt entweder den Mund oder verschwinde.«
Lucas beschrieb die Sachlage: Die Kollegen in Minneapolis konzentrierten sich auf das Krankenhaus; das SKA hatte die Rocker-Akten. »Also erledigen wir die Ermittlungen. Wir arbeiten zusammen, aber ich übernehme das Kommando. Virgil, Jenkins, ihr bewacht weiter Weather. Shrake, du bleibst in der Nähe. Wenn sich was Neues ergibt, rufe ich euch an.«
»Meinst du, das hat irgendwas mit … damals zu tun?«, fragte Weather. »Mit den Seed?«
Lucas schüttelte den Kopf. »Das ist Schnee von gestern. Die Typen seinerzeit waren verrückt, das wissen alle. Nein. Das hier ist der Klinik-Fall. Sie sitzen in der Klemme und versuchen rauszukommen.«
»Deiner Ansicht nach war jemand im Krankenhaus an dem Coup beteiligt, ein Insider?«, fragte Virgil. »Weather, ich oder jemand anders könnte verbreiten, dass die Seed hinter ihm her sind. Das lockt ihn möglicherweise aus der Reserve.«
»Sorgt doch dafür, dass es in die Zehn-Uhr-Nachrichten kommt«, mischte sich Letty ein.
Lucas zuckte mit den Schultern. »Könnten wir probieren, aber ich glaube nicht, dass das zu einem Geständnis führt. Wir haben drei Leichen. Wahrscheinlicher wäre, dass jemand sich vom Acker macht. Darauf sollten wir achten.«
»Wir müssen uns bei Gang-Spezialisten erkundigen, wo die Seed und die Angels ihre Leute haben«, sagte Jenkins. »Und uns umhören, ob jemand ziemlich viele originalverpackte Medikamente anbietet.«
»Ja«, pflichtete Lucas ihm bei. »Was sonst?«
»Wir könnten den Seed Feuer unterm Hintern machen«, schlug Shrake vor. »Und wir müssen weiter auf Weather aufpassen.«
SECHS
D ie SKA-Zentrale befand sich in einem modernen Gebäude in einem Wohngebiet von St. Paul, so dass der Parkplatz an einem kalten Winterabend um sechs praktisch leer war. Lucas stieg die Treppen zu seinem Büro empor, hängte seinen Mantel auf und marschierte den Flur hinunter. Frank Harris saß im Dunkeln.
»Schlafen Sie?«, fragte Lucas.
»Ich denke nach«, antwortete Harris. »Und meine Augen brennen.«
Lucas setzte sich auf einen Besucherstuhl. »Sie kennen die Sachlage.«
»Ja, und Sie kriegen von mir jeden Mann, den ich erübrigen kann«, versprach Harris, ein schmaler Schatten in Anzug und Krawatte auf der anderen Seite des Schreibtischs. »Aber die Angelegenheit gefällt mir nicht. Wenn’s nicht Ihre Frau wäre, würde ich es nicht machen.«
»Ich brauche keine Informanten und keinen von Ihren Leuten und verrate nichts. Was ich brauche,
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