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Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Weidinger
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offen.
    »’nen Kaffee zum Mitnehmen.« Sie nickt dem einsamen Kassierer
zu, streift durch die kurzen Warengänge. Das übliche Sortiment plus ein
Extrastand: Schweizer Fähnchen, Regioprodukte und so. »Schwyzer Guezli«,
handgemachte Weihnachtsplätzchen: Biberli, Leckerli, Chräbeli, Schümli, Hüetli,
Züngli, Stengeli. Sehr witzig. Sie greift nach Sandwichs, Chips, Cola und nach
einer Tüte »Totenbeinli«. Dreißig Schweizer Franken für alles, kein Problem,
sie hat jetzt das Geld des Alten, blättert den ersten Fünfziger auf die Theke,
greift sich den Kaffee, packt alles in die Tasche. Und ab dafür.
    Draußen an ihrem Pick-up lehnt ein Typ. Ihr Alter, schätzt
Chiara, Rucksack, Kapuzenshirt. »Hey!«, brüllt sie, als er unter die Plane der
Ladefläche linsen will, und schnellt nach vorn.
    »Deiner?« Er zeigt auf den Pick-up, mustert sie von Kopf bis Fuß.
Prüft seine Chancen, aber Chiara lässt sich nicht in die Karten gucken. Er
deutet auf die Plane: »Riecht nach Weihnachten. Was transportierst du?«
    »Nordmanntanne.«
    »Bisschen spät, ist doch schon Heiligabend. Wo soll die noch hin?«
    »Eine Sonderlieferung für Italien.«
    Chiara kennt solche Typen. Der Kerl will ’ne Fuhre. Für lau. Sie
checkt ihn: klarer Blick, keine Fahne, Klamotten sauber, kleines Gepäck. Ihre
Sicherheiten: die Axt im Fach der Fahrertür, das Schweizer Messer in der
Jackentasche, die Motorsäge auf der Ladefläche. Riskiert sie es, oder riskiert
sie’s nicht?
    »Wo denn genau?« Ein Lächeln und ein paar windschiefe Zähne.
    »Cinque Terre, Genua, die Kante.« Chiara denkt an die Zöllner an der
Grenze oben am Großen Sankt Bernhard. Heiligabend, nix los, Scheißlaune. Wen
winken die eher durch? Ein Mädel allein oder ein junges Pärchen?
    »Meine Richtung. Genua ist klasse«, sagt er.
    »Großer Hafen.«
    »Genau.« Wieder ein Lächeln.
    Die windschiefen Zähne geben den Ausschlag. Die und ihre Zahnlücke.
Harmloser kann man nicht wirken. Netter Junge, nettes Mädchen, nettes Paar auf
dem Weg in den Süden. Wenn die Zöllner keine Sadisten sind, wird’s kein Problem
geben. »Führerschein?«
    »Logo.«
    »Na, denn!« Sie schwingt sich in den Wagen, klemmt den Kaffee in den
Halter, öffnet die Beifahrertür, dreht den Zündschlüssel.
    »Urs«, sagt er.
    »Chiara.«
    »Italienerin?«
    »Halb«, lügt sie. Dabei ist’s ein Argentinier gewesen, der Renate
vor zwanzig Jahren geschwängert hat. Animateur auf einem der Campingplätze am
Golfo Paradiso, auf Nimmerwiedersehen in der Pampa verschwunden.
    »Yoaquin hat er geheißen, küssen konnt der, und die Stimme! Augen
und Locken haste von ihm.« Renate, die alte Romantikerin.
    »Am Strand, unterm Sternenhimmel biste entstanden. Pinienduft in der
Luft, das Rauschen des Meeres, aus einer Bar hat der Wind Fetzen von ›Bocca Di
Rosa‹ zu uns herübergeweht, die Stimme von Fabrizio de André …«
    Deswegen Chiara und nicht Klara. Der Alte hat getobt, als Renate aus
Italien zurückkam. »Das meiner Tochter! Kannste nicht aufpassen? Ein Balg von
’nem Gigolo.« Hat er ihr nie verziehen.
    Einmal, vor drei Jahren, sind sie gemeinsam da gewesen. Fünf
Monate vor Renates Tod. In Camogli, wo Renate und Yoaquin damals … Camogli,
schöner Ort, wirklich. Renate mit Tränen in den Augen. »Wärste weg von dem
Alten und den Tannenbäumen, wenn es mich nicht gegeben hätte?«, hat Chiara sie
gefragt. »Ach, Kindchen, so kannste das nicht sehen …« Augen wischen, aufs Meer
gucken und rufen: »Komm, wir klettern hoch zum Punta Chiappa.«
    Doch, so kann man das sehen, weiß Chiara. Zugrunde hat Renate
sich richten lassen. Eine einzige Schufterei, Weihnachtsbäume ist ein hartes
Geschäft. Nur Gemeinheiten, immer Vorwürfe und bloß keine Freiheiten. Deshalb
hat sich Chiara so beeilt mit dem Erwachsenwerden. Gemeinsam hätten sie den
Alten und seine Schonungen in den Wind geblasen und irgendwo neu angefangen.
Renate wäre wieder zu Kräften gekommen, kein Fieber, keine Schwindelanfälle
mehr, und ihre Augen hätten wieder gestrahlt wie damals auf dem Punta Chiappa. – Hat nichts genutzt, alles seine Schuld, er hat sie umgebracht.
    Ein Polizeiwagen mit Blaulicht auf der Gegenfahrbahn, ein großer
Löschzug der Feuerwehr.
    »Da hat einer den Weihnachtsbaum abgefackelt.« Chiara nimmt einen
Schluck Kaffee, ein schneller Blick zum Mitfahrer: Kapuze tief ins Gesicht
gezogen, Augen zu, angedeutetes Schnarchen. Dabei zittern seine Hände wie
Espenlaub. »Bestimmt Zoff wegen happy family und

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