Mords-Bescherung
junge Mann bestimmt und entwand sich dem
Griff des stellvertretenden Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiters.
»Halten Sie mich für einen Vollidioten? Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie es
zu tun haben?«
Die Anwesenden im Raum schüttelten verunsichert die Köpfe.
»Ich bin nicht einfach nur ein einfacher Untersuchungsbeamter, ich
bin der Leiter des WMSD , des Weihnachtsmännlichen
Sicherheitsdienstes. Und außerdem der Sohn vom Chef!«
»Jesses Maria«, war undeutliches Gemurmel zu hören, »der Sohn vom
Weihnachtsmann. Hier bei uns in Österreich.«
»Genau«, wiederholte der WMSD -Mann
nachdrücklich. »Sie haben ja keine Ahnung, welche Bestürzung die Nachricht vom
Tode des hiesigen Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiters bei meinem Vater
hervorgerufen hat. Nicht nur, weil Manuel Garcia Fuentes de Esperanza ein guter
Freund von ihm war – nein, es könnte sich dabei doch genauso gut um einen
Anschlag auf unser Kerngeschäft handeln, auf die Werte, die wir vertreten und
vermitteln. Wer sagt uns denn, dass es sich nicht um einen islamistischen
Anschlag gehandelt hat? Oder um eine Aktion der Rechtsextremisten, die es
irgendjemand anderem in die Schuhe schieben wollen?«
»Das ist sicher nicht der Fall«, meinte der stellvertretende
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter kleinlaut. »Glauben Sie mir, es war
wirklich nur ein Unglück.«
»Ich möchte mir mein Urteil darüber selbst bilden, wenn Sie
gestatten. Und dazu würde ich gern einmal die Stelle sehen, an der alles
passiert ist.«
»Hier war es also«, murmelte der Sohn vom Weihnachtsmann einige
Minuten später, als er gemeinsam mit dem stellvertretenden
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter, dem Assistenten- und dem
Gewerkschaftswichtel vor einem unendlich scheinenden Regalsystem stand. Die
Reinigungselfen hatten sich zwar alle Mühe gegeben, aber immer noch waren die
Ränder eines hässlichen, feucht schimmernden Flecks auf dem Boden zu sehen.
»Ja«, nickte der Assistentenwichtel und schnaubte sich dabei seine
Nase. »Von fast ganz oben, also von der zweithöchsten Regalreihe, sind die
Kisten heruntergefallen.«
»Was war darin?«, fragte der WMSD -Leiter.
»Äh … ich glaube … das waren die Kisten mit den
Kanonenkugelimitaten«, erklärte der Gewerkschaftswichtel und blätterte in einer
Liste, die er auf einem Klemmbrett befestigt hatte.
»Kanonenkugelimitate?«, hakte der Sohn des Weihnachtsmanns nach.
»Warum denn Kanonenkugelimitate?«
»Eine neue Geschenkelinie«, warf der stellvertretende
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter schnell ein. »Besonders für
geschichtsbewusste Museumsbesucher. Aus reinem Eisen. Sehen absolut naturgetreu
aus, sind furchtbar schwer.«
»Seit wann haben Sie denn so etwas im Programm?«, fragte der
Untersucher.
»War eine Idee vom neuen Produktionsstättenleiter«, flüsterte eine
Reinigungselfe, die zufällig mit ihrem Feudel vorbeikam und den letzten Dialog
mitbekommen hatte.
»Ja, aber –«
»Eine der Kisten muss irgendwie unglücklich gelagert gewesen sein«,
mischte sich der Assistentenwichtel schnell wieder ein. »Jedenfalls hat sie
Übergewicht gekriegt und hat noch ein paar andere Kisten mitgerissen. Und da
war es passiert.«
Der WMSD -Mann zückte seinen
Tabletcomputer, tippte rasch ein paar der darauf angebrachten Symbole an und
schüttelte dann unwillig den Kopf. »In Ihrer gesamten Produktionslinie sind
keine Kanonenkugelimitate vorgesehen«, behauptete er danach unwirsch. »Was soll
das alles?«
»War eine Idee vom –«
»Ja, vom Produktionsstättenleiter, das habe ich inzwischen kapiert.
Die einzige Filiale, die so etwas im Programm hat, ist die Filiale in Peru.
Wegen des Inkamuseums in Cusco. Seit der Sonderausstellung über die Invasion
der Spanier sind die Kugeln dort der große Renner. Warum tauchen hier in
Österreich ebenfalls diese Kugeln auf?«
»Na ja, Manuel Garcia Fuentes und so weiter war der Meinung, es
würde frischen Schwung in das Weihnachtsfest bringen. Wenn die Alpenbewohner
mal so etwas unter dem Baum liegen haben, das wäre doch mal eine Überraschung.«
»Und was für eine Überraschung«, erklärte der WMSD -Mann spöttisch. »Mit dem Zeug kann hier doch
niemand etwas anfangen. Also, was soll der Blödsinn?«
»Das war kein Blödsinn«, beharrte der stellvertretende Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter.
»Esperanza war voller neuer Ideen. So ein Weihnachtsfest wie in diesem Jahr
hätte Österreich noch nie gehabt.
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