Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
draußen führt. Chijoke und der alte Toni Hoiser haben beide ausgesagt, dass sie diese Tür zwei Mal gehört haben. Und zwar nach dem Streit. Aber wie kann das sein, wenn Christian Brandl gar nicht mehr reingekommen ist? «
Jetzt verstand Sandra, worauf ihr Chef hinauswollte. »Das zweite Geräusch der Tür stammte also daher, dass jemand rausgegangen ist, nachdem Brettschneider längst wieder drin war. Und dieser dritte Mann …«
»… oder die Frau hat Brandl ermordet. Ganz genau«, ergänzte der Kommissar.
»Und um den Verdacht auf Brettschneider zu lenken, hat er oder sie den Stein in dessen Zimmer platziert.«
»Wie gesagt, ein schöner Fehler des Täters. Wir müssen jetzt nur dafür sorgen, dass er das auch selbst so sieht. Und dann den Versuch unternimmt, ihn rückgängig zu machen.«
»Und Brettschneider?«
Gabriel sah geknickt aus. »Hoffen wir, dass er wohlbehalten zurückkommt.«
Die folgenden Stunden vergingen in quälender Langsam keit. Gemeinsam saßen die Hüttengäste um den großen Tisch in der Stube und blickten immer wieder gebannt zur Tür.
Doch obwohl die Zeit, die Marion Hoiser Brettschneider als Überlebensfrist eingeräumt hatte, längst verstrichen war, blieb es draußen still.
»Vielleicht ist es eine Art Fügung«, sagte Ruth Maurer schließlich.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Sandra.
»Na ja, er hat einen anderen Menschen getötet. Und jetzt erfüllt sich dort draußen sein eigenes Schicksal. Vielleicht soll es so sein.«
»Ach, Unsinn«, erboste sich Richard Maurer. »Auch wenn Josef etwas Schlimmes getan hat – man darf nicht vergessen, dass der Brandl ihn erpresst hat.«
»Brandl ist also zu Recht gestorben? Ist es das, was Sie sagen wollen?«, fragte Sandra spitz.
Maurer zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht war immer noch von tiefer Verzweiflung gezeichnet. »Ich weiß nicht, was ich denken soll.«
Gabriel mischte sich in jovialem Tonfall ein und sagte: »Erzählen Sie uns doch lieber einmal, warum Sie eigentlich hierhergekommen sind, Herr Maurer. Und was es mit Ihnen und Herrn Brettschneider auf sich hat.«
Während der folgenden Stunde bekam die Runde in der Berghütte Richard Maurers Geschichte zu hören – die Geschichte eines Mannes, der unter einem strengen Vater aufwuchs, für den Homosexualität Sünde und Verbrechen war. Er hatte sich alle Mühe gegeben, so zu leben, wie sein Vater es wünschte, hatte sogar geheiratet, obwohl er Frauen nicht anziehend fand. Heimlich aber hatte er allerlei erotische Abenteuer und landete schließlich in den Armen eines anderen Mannes, der sich ebenfalls ein Doppelleben aufgebaut hatte. Josef Brettschneider. Lange Jahre führten die beiden eine stabile, vielleicht sogar glückliche Beziehung. Bis Josef Brettschneider sich daranmachte, die letzte Stufe seiner Karriereleiter zu erklimmen und Ministerpräsident zu werden. Dafür war er sogar bereit, die Liebe seines Lebens zu opfern. Doch so leicht wollte Richard Maurer sich nicht abservieren lassen. Er beschloss, seinen Geliebten auf der Hütte abzupassen und zur Rede zu stellen. Und nun endete alles in einer Katastrophe …
Während alle Anwesenden Maurers Lebensbeichte gebannt lauschten, ließ Sandra Ruth Maurer nicht aus den Augen. Die Frau wirkte wieder vollkommen in sich gekehrt, so als ginge sie das Ganze eigentlich gar nichts an.
Sandra wollte sie gerade fragen, was eigentlich ihre Rolle in dem seltsamen Arrangement war, als die Hüttentür aufgerissen wurde.
Der offensichtlich völlig erschöpfte Toni Hoiser kam hereingestolpert, fand dabei aber noch genug Kraft, um den apathisch vor sich hin starrenden Josef Brettschneider hinter sich herzuziehen. Dessen Gesichtshaut hatte bereits eine bläu liche Färbung angenommen.
»Der woits net mehr leben. Aber i hoab ihn gnomma und herbracht. So einfach wirds der Lump net hoan. Der geht dohin, wo er hinghört, ins Gfängnis«, erklärte Toni Hoiser mit seiner quäkenden Hans-Moser-Stimme.
Gabriel und Richard Maurer sprangen auf, um Brettschneider zu stützen. Vorsichtig führten sie den ausgekühlten Mann zum Ofen in der Ecke der Stube. Unterdessen eilte Marion Hoiser mit Decken herbei und ging dann in die Küche, um einen Jagertee zuzubereiten.
Die übrigen Anwesenden erhoben sich und spendeten dem alten Toni Hoiser Applaus. Wobei Kommissar Gabriel sich nicht sicher war, was sie mehr begeisterte – dass der alte Mann ein Leben gerettet hatte oder dass er einen Verbrecher seiner Strafe zuführte.
Am frühen Abend
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