Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
hatte, und inspizierte das kleine Zimmer. Die Möblierung war schlicht, sie bestand eigentlich nur aus einem Bett, einem Nachtschrank und einem Stuhl in der Zimmerecke. An der Wand hingen ein Kruzifix und ein nachgedunkeltes Ölbild, auf dem undeutlich eine Alpenlandschaft zu erkennen war.
Gabriel setzte sich aufs Bett und fühlte eine lähmende Müdigkeit in sich aufsteigen. Die Wanderung hatte ihn völlig geschafft. Am liebsten wäre er auf der Stelle eingeschlafen.
Was ihn davon abhielt, war nicht nur der nagende Hunger, den er verspürte. Sondern vor allem die Tatsache, dass er schließlich hier war, um ein Verbrechen aufzuklären.
Falls es überhaupt ein Verbrechen war, schränkte er in Gedanken ein. Immerhin hatten Weidinger und Brettschneider, die beiden Politiker, keinen Zweifel daran gelassen, dass ihr Berufskollege durch einen Unfall ums Leben gekommen war.
Andererseits war Marion Hoiser, die Hüttenwirtin, offenbar anderer Meinung. Die resolute Frau hatte ungefragt be tont, dass sie von einem Verbrechen ausging. Obwohl – hatte sie wirklich von einem Verbrechen gesprochen? Oder hatte sie nur sagen wollen, dass der Vorfall ein besonderes Unglück für sie und ihren Vater sei?
Gabriel stand auf und streckte sich. Im Lauf des Abends würde noch genug Zeit sein, sie danach zu fragen.
Bevor Gabriel und Sandra in die Gaststube zurückkehrten, ließen sie sich von Toni Hoiser das Gebäude zeigen. Im ersten Stock der Hütte befanden sich insgesamt zehn Gästezimmer, von denen auch der Kommissar und Sandra je eines bezogen hatten. Am Ende des Flurs gab es außerdem zwei Toiletten und ein winziges Badezimmer mit einer Dusche. Eine weitere Waschgelegenheit, wenn auch nur mit kaltem Wasser, befand sich draußen in einem separaten Gebäude.
Normalerweise musste man die vergleichsweise komfortablen Unterkünfte im ersten Stock schon Monate im Voraus buchen, denn während der Saison von Juli bis September waren sie heiß begehrt. Alle anderen Gäste mussten oben im Massenlager nächtigen, das der kauzige Toni Hoiser seinen Gästen auch gleich zeigte.
Als sie den großen Raum im zweiten Stock betraten, bemerkte Gabriel zunächst den durchdringenden Geruch nach … ja, wonach eigentlich? Nach intensivem Schnuppern kam er darauf. Es roch nach Mensch! Und zwar auf eine ähnlich durchdringende Art, wie es in einem Schweinestall nach Schwein roch. Was aber auch kein Wunder war, denn laut Toni Hoiser schliefen auf den beiden gegenüberliegenden Holzpodesten während der Sommermonate Nacht für Nacht bis zu fünfzig Gäste, und zur Not auch noch mehr.
Allein bei der Vorstellung, auf so engem Raum mit so vielen Menschen nächtigen zu müssen, gruselte es den Kommissar. Er war zwar ohnehin fest entschlossen, niemals wieder freiwillig in die Berge zurückzukehren. Aber das hier bestärkte ihn noch einmal gewaltig in diesem Entschluss.
Toni Hoiser erklärte, der Raum bleibe bis zum Beginn der nächsten Saison ungenutzt und werde auch nicht beheizt. Sandra deutete auf eine Luke in der Decke und erkundigte sich nach ihrer Funktion.
»Des doa? Des is nur der Aufstieg in die Doachkammer. Ganz früher hams doa des Heu für die Tier gelagert, aber des is lang her. Da ist goa nix mehr.«
Anschließend besichtigten sie das Erdgeschoss, wo sich die kleine Wohnung der Hoisers, die Gaststube, weitere Toiletten sowie die Küche und der große Vorrats- und Kühlraum befanden. Außerhalb gab es noch das separate Waschhaus sowie eine kleine Kapelle, die in den Stein der Felswand an der Rückseite des Hauses hineingebaut war. Sie beendeten ihren Rundgang in der großen Gaststube im Erdge schoss. Hier saßen die beiden Politiker bereits am Tisch, während Marion Hoiser hinter einer kleinen Theke Bier zapfte. Gabriel bestellte ebenfalls ein Bier und fragte: »Wer alles befindet sich denn sonst noch auf der Hütte? Außer den Herren aus der Politik, die wir ja schon kennengelernt haben?«
Da hatte Sandra bereits die Umrisse von zwei weiteren Personen bemerkt, die in einer Ecke der Gaststube im Halbdunkel saßen und mit verunsicherten Blicken zu ihnen herüberstarrten. Sie tippte Gabriel auf die Schulter und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die beiden.
Der Kommissar stutzte und sagte dann laut zu ihnen hinüber: »Sie da, kommen Sie doch bitte mal her.«
»Ach die, die sind doch nur zufällig hier«, flüsterte Marion Hoiser.
»Das Wort Zufall passt nur selten in mein Vokabular«, erklärte Gabriel.
Er wiederholte seine Bitte,
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