Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
erkundigte sich spitz: »Sie meinen jemanden wie Berlusconi? Der Partys mit Prostituierten feiert, von denen einige sogar minderjährig sind?«
Weidingers Teflonbeschichtung hielt stand. Er lachte, als hätte Sandra einen besonders gelungenen Witz gemacht, und sagte: »Dass Sie auch immer gleich das Schlimmste denken müssen …«
Marion Hoiser, die Hüttenwirtin, die dem Minister gegenübersaß, fasste das als Stichwort auf. Mit ihrer lauten Stimme sagte sie: »Das Schlimmste ist bei euch Politikern im Zweifel immer noch viel zu gut! Die meisten sind doch eh Verbrecher!«
Während Weidinger und Brettschneider eine gemeinsame Verteidigungsrede auf die Politikerzunft hielten, wunderte Sandra sich über Marion Hoiser. Schon zuvor hatte sie ihre tiefe Abscheu den Politikern gegenüber ausgedrückt. Dem Tonfall nach konnte man durchaus von Hass sprechen. Aber woher rührten die starken Gefühle?
Sandra betrachtete die kräftige Frau und musste dabei immer wieder das Wort »Urvieh« aus ihren Gedanken vertreiben. Genau das war Marion Hoiser, ein Urvieh. Sie hatte ein Kreuz wie ein Holzfäller, dazu kräftige und stark beharrte Unterarme und einen tiefdunklen, sonnenverbrannten Teint. So eine Frau war wirklich nur hier oben in der rauen Berglandschaft der Alpen vorstellbar. In einer Stadt wie München oder Hamburg wäre sie so deplatziert gewesen wie ein aus dem Zoo entlaufener Orang-Utan. Eines stand jedenfalls fest: Marion Hoiser war allemal kräftig genug, um einen Mann wie Brandl zu erschlagen.
Ruth Maurer war so ziemlich das Gegenteil der Hüttenwirtin. Die schmale Unternehmergattin schien dem Tischgespräch überhaupt nicht zuzuhören. In sich gekehrt aß sie ihre Vorspeise und trank gelegentlich kleine Schlucke von ihrem Wein.
Sandra fiel auf, dass die Frau ausgesprochen attraktiv war. Sie war schlank, sportlich und sogar hier oben auf der Hütte dezent geschminkt. Allerdings konnte ihr vorteilhaftes Äuße res nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie einige Jahre älter war als ihr Mann.
Erst als Weidinger sich entnervt von Marion Hoiser abwandte und Ruth Maurer in ein humorvolles Gespräch verwickelte, taute die Frau auf und lachte sogar gelegentlich. Allerdings vermied sie es geradezu krampfhaft, Josef Brettschneider anzusehen – und zwar vor allem immer dann, wenn Sandra in ihre Richtung sah …
Sandra ließ ihren Blick weiter durch die Runde schweifen und landete bei Toni Hoiser. Das seltsame Äußere des alten Hüttenwirts faszinierte sie. Seine ledrige Haut und der längst ergraute Vollbart standen in einem ungewöhnlichen Kontrast zu den strahlend blauen Augen des Mannes. Fast wie zwei klare Gebirgsseen … Er wäre die Idealbesetzung für eine Werbekampagne über Urlaub in den Bergen. Trotz seines Alters schien er topfit zu sein, er wirkte gesund und fröhlich!
Sandra lächelte ihn an und fragte über den Tisch hinweg: »Darf ich Sie etwas Persönliches fragen, Herr Hoiser?«
Der alte Mann zeigte beim Lächeln seine wenigen Zähne und sagte: »Freilich. Sie soan doch von dr Polizei, doa düafens doch sowieso froan, was wolln.«
Sandra brauchte einige Sekunden, um ihn zu verstehen. »Ich wollte nur wissen, wie alt Sie eigentlich sind.«
Der Alte strahlte, als freute er sich über die Frage. »Joa, des wollns oal wissn. Dbei ists koa Geheimnis. I bia des Joa vierntachtzg gewordn. Un i kraxel immer no jedn Gipfl nauf!«
»Toll! Das Leben in den Bergen hält wohl wirklich gesund«, sagte Sandra höflich.
Der Alte kicherte seltsam. »Des joa, un des i leb wie dr Poapst in seim Vatikan, wenns verstehn, woas i mein. Joa, un jden Toag voam Schloafn an Glasl vo meim Schnapserl. Den müssns später probiern!«
Sandra bedankte sich und bemühte sich weiter um ein Gespräch mit dem Alten. Allerdings war sein Dialekt für sie fast wie eine Fremdsprache. Toni Hoiser hatte vermutlich sein ganzes Leben hier oben in den Bergen verbracht, möglicherweise war er nie länger zur Schule gegangen. Für so einen Mann mussten Politikergestalten wie Weidinger oder auch Brandl wie Außerirdische sein, Eindringlinge in seiner Welt. Aber ob er sie deswegen gleich mit einem Stein erschlug?
Am meisten allerdings wunderte sich Sandra Berger über den Mann, der ganz am anderen Ende des Tisches saß – ihren Chef Wolf Gabriel. Der Kommissar kaute gerade mit geschlossenen Augen an einem Stück Fleisch und hatte da bei einen Gesichtsausdruck, wie ihn andere Männer höchs tens beim Sex hatten … Im Übrigen schien Gabriel
Weitere Kostenlose Bücher