Mordsdeal
genügend Zeit zu überlegen, wie sie das Blatt noch zu ihren Gunsten wenden konnte. Wenn sie aber an den qualvollen Tod des Rudi Carrell oder den des Marlboro-Cowboys dachte, an die schwarzen Lungen und Erstickungsanfälle, an die Kehlkopfkrebse der Nation, lieber doch nicht. Sie drückte die 33. Zigarette aus und gab auf. Beim Aufstehen stolperte sie über das Kabel und riss die Stehlampe um. »Hilla, du Tollpatsch!«, würde ihre Mutter jetzt rufen. »Nichts passiert!«, würde sie antworten. Sie konnte nun mal Entfernungen nicht richtig abschätzen. An ihren zweieinhalb Dioptrien lag es nicht, das hatte sie auch schon mit einhalb Dioptrien gehabt.
Wenn es nach Hilla ging, dann würde sie die Wohnung des Alten überhaupt nicht mehr betreten. Immerhin waren nach seinem Tod vier Tage vergangen und wer weiß, wie lange der Sack dicht hielt – der Vakuumsack. Sie war seitdem gezwungen, sich in regelmäßigen Abständen im Haus des Alten blicken zu lassen. Die Blumen gießen, den Briefkasten entleeren, lüften und das Licht anstellen, waren ihre Aufgaben, die sie auch nach wie vor verrichten musste, wenn Nachbarn und Einbrecher nicht auf das Haus aufmerksam werden sollten. Außerdem hatte sie ja die Leiche unter dem Bett. Heute musste es endlich geschehen, Heiner musste den Alten mitnehmen. Egal, wie und wohin. Von seiner Frau, ihrer Schwester, konnte er sich später immer noch trennen. Hilla dachte an ihren Liebesakt mit Heiner. Es schüttelte sie. Heiner war wild gewesen, hatte sie wie ein richtiger Mann hin und her geworfen und sich bei ihr bedient, sich alles genommen, was er brauchte. Sie hatte stillgehalten, weil er es so wollte. Aus gutem Grund. Er wusste von ihrem letzten Freund, der mit einem Penisbruch im Krankenhaus gelandet war. Auch dabei war sie leider etwas ungeschickt. Erst nachdem Heiner fertig gewesen war und laut stöhnte, wurde Hilla bewusst, wer da noch im Raum lag, unter dem Bett. Sie hatte zuerst einen Riesenschrecken bekommen, dachte, der Alte im Vakuumsack sei von den Bewegungen reanimiert worden. Es hatte sich so angehört, es war von so tief unten gekommen, eben wie von unter dem Bett.
Hilla drehte das Fotohandy in ihrer Hand. Es war an allen Stellen, die man nicht brauchte, mit Leukoplast umklebt. Zuerst war es ein Versuch, die Einzelteile zusammenzuhalten, nach mehreren Schichten ein sicherer Schutz vor dem häufigen Herunterfallen.
Aus Langeweile schoss sie ein paar Fotos von sich, zog immer verrücktere Grimassen. So hässlich war sie gar nicht, wie andere immer behaupteten. Sie knöpfte die Bluse ein wenig auf, wurde immer mutiger, zog in ihrer plötzlichen Grenzenlosigkeit die ausgeleierten, fleischfarbenen Doppel-D-Körbchen unter die Brust und schoss einige Momentaufnahmen für Heiner. Hillas Handy schüttelte sich. Shakiras Lied erklang.
»Was ist jetzt?«, brüllte Hilla in den Hörer. Sie hatte auf dem Display Heiners Namen gelesen und wollte keine Zeit verlieren.
»Wie, was ist jetzt?« Im Hintergrund hörte Hilla ein Motorengeräusch ersterben und dann eine Autotür zuklappen. Schweres Atmen, Schritte.
»Wann kommst du endlich den Sack abholen?«
»Mach die Tür auf.«
Hilla fiel Heiner schon im Türrahmen um den Hals, presste ihn fest an ihre Brust. Die Bluse stand noch immer offen.
»Was feierst du denn hier? Hattest du Besuch?« Er schob sie zur Seite, sah sich schnell um, ob niemand sie beobachtet hatte, dann schloss er die Haustür hinter sich und ging ins Wohnzimmer.
Hilla fummelte an den noch vorhandenen Knöpfen ihrer Bluse, öffnete sie ganz. »Komm, lass uns ein wenig entspannen.« Sie legte sich lasziv auf die Couch, rutschte mit dem Arm von der Seitenlehne und riss den Porzellanclown vom Beistelltisch. »Lass den Blödsinn.« Heiner war sich nicht im Klaren darüber, was er zuerst machen sollte. Zuerst Hilla sagen, dass er sie nie wieder sehen wollte, oder als Erstes den Alten ins Auto packen und ohne ein Wort abhauen. Er konnte ihr dann später eine SMS schicken, wenn überhaupt.
Heiner flüchtete erst einmal ins Schlafzimmer und zog den Alten hervor. Der Sack hielt wunderbar dicht. Eine Qualität, die nicht zu unterschätzen war. Wieso wollten die dämlichen Hausfrauen denn diese Säcke nicht? Sie könnten ihre lästig gewordenen Ehemänner darin … aber mit so etwas durfte er ja nicht werben, daran durfte er nicht denken, schließlich war er ja auch einer.
Heiner hatte Mühe, Hilla davon zu überzeugen, dass sie sich nicht wieder verkleiden musste,
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