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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Film oder … «
    »Gut. Ich verstehe«, unterbrach er sie. »Aber das ist keine Antwort auf meine Frage.«
    »Was denn sonst?«
    »Sie zählen auf, was Sie lieber machen würden, aber nicht, was tatsächlich in Ihnen vorgeht.«
    »Ich habe einfach Angst, meine kostbare Zeit … «
    »Halt, stopp! Da haben wir’s.«
    »Was?«
    »Angst. Das ist das, was Sie wirklich haben.«
    »Ich habe keine Angst, Chef.«
    »Doch. Langeweile ist ein Ausdruck von Angst. Das zu erkennen, ist von immenser Bedeutung. Natürlich kann es auch nicht schaden zu wissen, wovor Sie Angst haben. Aber das ist nicht das Entscheidende. Das Allerwichtigste ist die Gefühlswahrnehmung an sich. Erst dann können Sie erkennen, wie Gefühle herrschen und wie sie unser Handeln bestimmen. Ein Täter, nach dem Sie vielleicht gerade fahnden, handelt nach den gleichen Mustern wie Sie und ich.«
    »Meinetwegen, aber … «
    »Das ist der einzige Grund, weswegen wir unverzichtbar sind«, schnitt er ihr das Wort ab. »Als Menschen mit Gefühlen, verstehen Sie?«
    Als sie hartnäckig schwieg, fuhr er fort: »Sie müssen den Tätern, nach denen Sie suchen, nahe kommen, und das können Sie nur, wenn Sie sich selbst nahe sind. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
    »Ja, Chef.« Die Widerspenstigkeit in ihrer Stimme war unüberhörbar.
    »Sich selbst nahe sein, das können Sie hier üben.«
    »Kann ich sonst noch etwas üben, Chef?«, entgegnete sie patzig.
    »Ja. Sie können üben – allerdings erst, nachdem Sie bei sich angekommen sind –, sich selbst auszuhalten.«
    Sie seufzte.
    »Das ist das Schwierigste«, ergänzte er hintergründig lächelnd und sah wieder durch das Kabinenfenster auf die funkelnde Wasserwüste, die sich unter ihnen eintönig bis an den fernen Horizont ausbreitete. Er spürte, dass er ihren Unwillen erregt hatte.
    Nach einer Weile sagte er mit vertraulichem Tonfall in der Stimme: »Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen. Ich kam eines Tages in eine Wohnung – welche, spielt hier keine Rolle – , in der ich schon zuvor öfter gewesen war. Sie gehörte einem kinderlosen Ehepaar, das sehr viel Wert auf ein gepflegtes Heim legte und jedes Detail mit enormem Aufwand, also mit erlesenem Geschmack, viel Geduld und Geld zusammengetragen hatte. Das Ambiente war beeindruckend und hatte sich mir lebhaft eingeprägt. Als ich die Wohnung betrat, befiel mich eine nervöse Unruhe. Irgendetwas musste seit dem letzten Mal passiert sein. Aber nichts schien verändert zu sein. Alles war wie immer. Ich fragte mich also, was … «
    Nein, bitte nicht! Sie hatte keinen Bock auf Männer, die Geschichten erzählten. Und überhaupt, wenn Männer sich wichtigmachten, langweilte sie sich schnell. Wenn ihre Zuhörerschaft nicht enthusiastisch applaudierte, reagierten die meisten beleidigt. Oft lief es auf Rechthaberei hinaus und endete in idiotischen Diskussionen. Einen Nutzen schienen nur die Erzähler zu haben. Welchen, hatte sie nie begriffen. Es interessierte sie auch nicht. Sie hatte sich einfach abgewöhnt zuzuhören. Aufmerksamkeit und Zustimmung zu heucheln, war eine Möglichkeit, sie zu überstehen. Das lag ihr aber nicht. Das bin nicht ich, sagte sie sich dann.
    Vorne sah sie, wie die Flugbegleiterin den Servierwagen in den Gang schob. Ein Wasser oder Apfelsaft täte jetzt wirklich gut. Sie begrüßte die willkommene Unterbrechung und machte sich daran, das Tablett an der Rückseite des Sitzes vor ihr zu entriegeln.
    »Hören Sie mir überhaupt zu?«, riss Jung sie aus ihren Gedanken.
    »Bitte? Ja, natürlich. Ich habe nur Durst, Chef.«
    »Okay. Löschen Sie Ihren Durst. Danach werde ich mich bemühen, Ihre Langeweile zu beenden.«
    Seine Worte klangen wie eine freundliche Drohung. Sie lachte ihn verlegen an. Er lächelte hintergründig zurück.
    Die Flugbegleiterin war bis zu ihnen vorgedrungen und fragte nach ihren Wünschen. Nachdem sie sie erfüllt hatte, rollte sie ihren Wagen weiter und Jung trat in den Gang. »Bin gleich wieder da«, raunte er seiner Nachbarin zu und verschwand nach vorn.
     
    *
     
    Sie hatten die erste Reihe okkupiert. Die Riedel schien zu schlafen. Neben Halsbenning waren die Sitze frei geblieben. Jung beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte: »Darf ich Sie für einen Moment stören?«
    »Was gibt es, Jung?«, antwortete der Angesprochene ebenso leise.
    »Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen. Darf ich mich setzen?«
    »Wenn Sie wollen, bitte.«
    »Danke. Es geht um die Praktikantin, Herr Staatsanwalt.«
    »Was ist

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