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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Platz.
    »Ich möchte vor allem wissen, was Ihnen beim Durchlesen aufgefallen ist, Charlotte.«
    »Wie meinen Sie das, Chef?«
    »Na, irgendwas Besonderes, eine Ungereimtheit, vielleicht ein Widerspruch, etwas, das Ihnen befremdlich vorkommt, verstehen Sie?«
    »Okay. Mach ich.«
    »Seien Sie vorsichtig und bringen Sie nichts durcheinander. Der Staatsanwalt ist etwas pingelig.«
    Sie atmete tief durch und war froh, dass sie sich absetzen konnte.
    Jung rückte ans Fenster und starrte verloren in den stahlblauen Himmel. Er war als Bärenführer für die SOKO des Generalstaatsanwaltes engagiert worden. Und dabei sollte es bleiben, rief er sich noch einmal in Erinnerung. Leider kam ihm seine neue Aufgabe dazwischen. Warten wir’s ab, sagte er sich und machte es sich bequem. Bald ging sein Atem regelmäßig, und kurz danach war er eingenickt.

Bastian
     
    Ihre Hände waren kalt. Die klammen Finger versagten den Dienst. Ihre Kräfte reichten nicht aus, das Segel aufzugeien. Arme und Rücken schmerzten. Der Wind zerrte an ihren Haaren. Das Jaulen in der Takelage und das wild schlagende Segel machten ihr Angst. Als das Schiff überholte, wurde ihr das Tau aus der Hand gerissen und sie verlor den Halt auf dem Fußpferd. Sie warf sich über die Rahe und klammerte sich verzweifelt an das Handstag. Unter sich sah sie die schäumende See, dann kam das Deck ins Blickfeld. Es war so unendlich fern, so klein wie ein Spielzeug. Würde sie jemals wieder einen Fuß darauf setzen? »Schauen Sie nicht nach unten! Konzentrieren Sie sich ganz auf Ihre Arbeit im Rigg!«, schossen ihr die Anweisungen der Ausbilder durch den Kopf. Eine wilde Panik überschwemmte sie.
    »Bastian, hilf mir!«, schrie sie ihrem Nebenmann zu. Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen. Ein lautes Lachen war die einzige Antwort. Warum hatte sie sich nur als Toppsgast gemeldet? Warum hatte es unbedingt das Großroyal sein müssen?
    »Bastian, hilf der Mutter deines Kindes!«, kreischte sie hysterisch gegen den heulenden Wind an. Er musste sie gehört haben.
    »Ellen! Hau rein, Mädchen!«
    Es schien ihr, als jubelte er. Sie strampelte mit den Beinen, bis sie das Fußpferd unter den Sohlen spürte. Der Wind zerrte an dem schweren Segel. Sie raffte ihre letzten Kräfte zusammen und versuchte, die hin und her schlagende Gording zu packen.
    »Was ist los da oben?«, schallte es aus der Flüstertüte vom Mitteldeck. »Attacke, die Herrschaften. Aber dalli!«
    Hör auf zu schreien, wimmerte sie innerlich, hilf mir lieber. Ihr wurde schwarz vor Augen. Das Schiff holte über. Sie ließ das Tau sausen und klammerte sich an die Rahe und das Handstag.
    »Kadettin Schwarz, sofort niederentern. Das ist ein Befehl!«, kam es jetzt noch lauter von unten.
    Apathisch hangelte sie sich in Richtung Bramstenge. Sie bekam den Fuß auf eine Webleine, steckte den rechten Arm durch die Want und klammerte sich fest. Sie wollte sich nicht aushaken. Sie wollte nicht noch einmal ohne Sicherung über die Saling klettern müssen. Sie blieb, wo sie war, und rührte sich nicht, starr vor Angst. Bevor sie der letzte Rest von Energie verließ, spürte sie ein Paar Fäuste, die sie am Lifebelt packten und wegzerrten. An das, was folgte, wollte sie sich später nicht mehr erinnern.
     
    *
     
    Heute kam er blitzartig aus der Hängematte. Er hatte nur auf den Weckruf gewartet. Der große Rotblonde aus dem Plattland, da oben im Nirgendwo, provozierte ihn, wo er nur konnte. Der Typ war immer der Schnellste. Bei der Frühmusterung stand er an seinem Platz, während er selbst noch durch das Schott aufs Mitteldeck hetzte. »Typisch bayrischer Knödelfresser«, hatte der ostfriesische Neandertaler ihn verspottet. Dazu grinste er süffisant auf ihn herab. Zu allem Überfluss hatten die Ausbilder an dem Ostfriesen nie was rumzumäkeln. Aber ich werde dauernd wegen irgendwelcher Kleinigkeiten zurückgepfiffen, bemitleidete er sich selbst.
    »Herr Obergefreiter O.   A. Wötzel, Sie lernen es nie. Wenn Sie weiter so machen, müssen Sie wieder zurück auf Ihre Alm. Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd! Wenigstens das sollten Sie doch wissen.«
    Er hasste es, gemaßregelt zu werden und das Ziel von Hohn und Spott zu sein.
     
    *
     
    Es roch säuerlich nach Schweiß und ungewaschenen Füßen. Heute störte ihn das nicht. Dieses Mal musste es klappen. Waschen und Anziehen waren nicht das Problem, nur das Einrollen der Hängematte. Er konzentrierte sich darauf, sein Zeug rasch zu einem runden, glatten Sack

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