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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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betrat, saß der Kommandant gewöhnlich am Schreibtisch gleich links neben dem Eingang vor einer überquellenden Bücherwand. Die Möbel waren aus dem gleichen Holz getischlert wie die Vertäfelung. Hinter dem Arbeitsplatz öffnete sich die Tür zum Schlafraum, aus dem es zu einer Nasszelle mit Dusche und WC abging. Nach vorn sah man auf eine repräsentative Sitzgruppe, davor stand ein mächtiger, am Boden verschraubter Tisch. Die polierte Platte glänzte wie alles andere auch.
    Der Kommandant hatte für Dekoration nicht viel übrig. Der Raum wirkte auf den ersten Blick etwas leblos. Aber die vielen Bücher und Karten auf den Tischen zeugten von beharrlicher Arbeit. Er mochte das. Der Kapitän und sein Logis waren für ihn Ausdruck guter Seemannschaft. Auch in seinen übelsten Stunden hatte er sich auf sie verlassen können.
    Nur die alle paar Monate wie ein Sack Flöhe einfallenden Kadetten störten ihn bisweilen. Sie waren laut, hektisch und ungeschickt. Er hasste es, wenn sie beim ersten schweren Wetter seekrank wurden und das Deck vollreiherten. Später, wenn ihnen Seebeine gewachsen waren, sie aber immer noch litten, hatten die meisten gelernt, ihr Zeug über das Schanzkleid nach Lee loszuwerden. Es gab aber auch Fälle, die nicht gewillt waren dazuzulernen. Sie hörten einfach nicht auf, nach durchzechten Hafenbesuchen in die Hängematte zu pinkeln. Die Schiffsführung zeigte sich in solchen Fällen unnachgiebig. Sie schickte die Jungs zurück nach Hause. Selbst von Neufundland aus. Ihre Karriere war vorbei, bevor sie begonnen hatte. Die Strenge der Schiffsführung ermutigte ihn und bestätigte ihn in seiner Auffassung, in einer guten und richtigen Ordnung zu sein. Insofern erfasste ihn Genugtuung bei dem Gedanken, dass sein Sohn in Kürze an Bord kommen würde.
     
    *
     
    Er klopfte an die Tür.
    »Herein.«
    Er trat ein und schloss die Tür hinter sich.
    »In die Kammer«, meldete er sich.
    Der Kommandant saß auf der Polsterbank hinter dem großen Tisch. Vor ihm lag ein Papier. Sein Unbehagen wuchs. Nicht nur der Zeitpunkt war ungewöhnlich, sondern auch der Sitz weit weg vom Schreibtisch. Der Kommandant stand auf und reichte ihm die Hand. Sein Händedruck war kräftig und hielt eine Spur zu lange an.
    »Setz dich bitte, Erwin.«
    Er erschrak. Der Kapitän hatte ihn noch nie aufgefordert, sich zu ihm an den Tisch zu setzen. Der Kommandant sah ihm schweigend in die Augen.
    »Ich muss dir eine traurige Nachricht überbringen, Erwin«, sagte er schließlich leise und machte eine Pause. Als sein Gegenüber stumm blieb, fuhr er fort: »Dein Sohn ist gestern Abend ums Leben gekommen. Ertrunken. Ein Unfall, wie die Polizei vermutet. Mehr weiß ich nicht. Mein aufrichtiges Beileid.«
    Im Raum breitete sich eine Stille aus, die mit jeder Sekunde beklemmender wurde.
    »Es tut mir sehr leid, Erwin«, beendete der Kommandant das Schweigen. »Er sollte demnächst zu uns an Bord kommen, nicht wahr?«
    Er konnte darauf nichts erwidern. Seine Stimme gehorchte ihm nicht. Er heftete seinen Blick an das Bulleye gegenüber und ließ es nicht mehr los. Der Kommandant nahm das Papier auf. Das Rascheln dröhnte ihm in den Ohren.
    »Wir werden auf Cherbourg-Reede vor Anker gehen. Unser Schiffsagent ist benachrichtigt. Er wird dich mit dem Lotsenboot abholen. Morgen geht dein Flieger nach Hamburg. Der Fuhrparkservice pickt dich in Fuhlsbüttel auf und bringt dich nach Flensburg. Morgen Abend bist du zu Hause. In Hamburg kommst du wieder an Bord, es sei denn, du reichst Urlaub ein.«
    Bei dem Wort ›zu Hause‹ zuckte er zusammen. Er konnte noch immer nichts erwidern. Seine Augen blickten starr geradeaus durch das Bulleye in das nächtliche Dunkel.
    »Kann ich noch etwas für dich tun, Erwin?«
    Er erhob sich. Seine Knie zitterten. Ertrunken? Aber nicht Momme. Niemals! Er ging steif an die Tür zum Gang und drückte die Klinke herunter.
    »Danke, Herr Kap’tän. Aus der Kammer.« Seine Worte kamen undeutlich. Seine Stimme hatte allen Klang verloren.

Das Begräbnis
     
    Sie trocknete die Kaffeetassen ab, die ihre Mutter ihr zureichte. Sie hatte sich in einen stummen Erregungszustand hineingesteigert. So ein Idiot, fluchte sie lautlos, während das Trockentuch feucht wurde. Bastian war ganz anders. Irgendwie war er eine Klasse für sich. Bei ihm wusste sie immer, woran sie war. Er machte, was er wollte und was er konnte. Seinen bayerischen Akzent fand sie drollig. Die Stunden mit ihm fühlten sich gut an, irgendwie richtig.

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