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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Offiziere auf die Feststellung Wert gelegt, dass Mann-über-Bord-Manöver geübt werden. Dennoch braucht so was seine Zeit. Ein Segler ist kein Ruderboot. Alle Mann plus Kommandant sind alarmiert und an Deck.«
    »Gemäß Handbuch, nicht wahr?«, warf Jung dazwischen.
    »Das ist nicht explizit festgehalten, aber zu vermuten, ja. Der verantwortliche Offizier hatte inzwischen auch die allgemeine Schifffahrt und den Rettungsdienst an Land alarmiert. Alle Schiffe im Umkreis suchen mit, ebenso Hubschrauber und Seenotrettungskreuzer aus Borkum und Helgoland. Die Zeiten sind alle registriert und im Logbuch festgehalten. Das ging ziemlich zügig, meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Die Dunkelheit und der Seegang kamen aber erschwerend hinzu. Später wurden auch Militärjets mit Wärmebildkameras eingesetzt. Alles erfolglos. Man ist der Überzeugung, dass die Matrosin schnell gestorben ist. Sie trug keine Schwimmweste und keinen Kälteschutzanzug, was nicht zu beanstanden ist, weil es den Vorschriften entsprach.«
    »Laut Brückenoffizier-Handbuch. Ich hab’s kapiert.«
    »Sehr gut, Chef«, applaudierte sie ihm trocken, um dann fortzufahren,
    »Das Wasser hatte 13 Grad, die Wellen sollen um die zwei Meter hoch gewesen sein. Nach einer Woche wird die Suche eingestellt. Später findet ein Fischereiaufsichtsboot ihre Leiche bei Helgoland. Die Mariner sind einhellig der Meinung, die Matrosin hätte sich durch eigenen Leichtsinn in Schwierigkeiten gebracht und sei über Bord gefallen. Sie sei in der Vergangenheit schon einmal unangenehm aufgefallen, soll sich dann aber gebessert und akzeptabel geführt haben. Das ist, zusammengefasst, der Inhalt der Ermittlungsakte.«
    Jung nickte mehrmals mit dem Kopf.
    »Und? Was sagen Sie dazu?«, fragte er lauernd.
    »Also, nochmals, ich habe von der Marine keine Ahnung. Mich hat aber beeindruckt, wie schnell die reagiert haben. Auch ihre Möglichkeiten und der wahnsinnige Aufwand.«
    »Ja, das finde ich auch«, bemerkte Jung nachdenklich. »Noch was?«
    »Was meinen Sie, Chef?«
    »Sind Ihnen weitere Gedanken gekommen? Was halten Sie zum Beispiel von der Erzählung unserer Mitpassagierin?«
    »Um ehrlich zu sein, gar nichts. Jedenfalls nichts von Bedeutung. Die Ertrunkene scheint mir überfordert gewesen zu sein. Da passiert schon mal was. Auf See und auf einem Segelschiff eben mit schlimmen Folgen, könnte ich mir vorstellen.«
    »Ja, so kann man das sehen«, bemerkte Jung nachdenklich.
    »Ich unterhielt mich vorhin auch mit ein paar männlichen Kadetten«, fuhr sie fort. »Die hatten eine Menge … «
    »Sieh einer an«, fiel er ihr ins Wort. »Sie haben also schon Verehrer.«
    »Eine zweifelhafte Ehre«, konterte sie wenig amüsiert. »Einer fiel mir allerdings auf. Er sieht das ziemlich realistisch, meiner Meinung nach.«
    »Was sieht er denn?«
    »Er sagte, die Tote sei bekannt gewesen. ›Berüchtigt‹ sagte er nicht, aber sein Tonfall war so, als wollte er so verstanden werden.«
    »Berüchtigt als was?«
    »Als Emanze mit überzogenem Selbstwertgefühl, übermotiviert, aber unterbelichtet. Ich fasse das mal mit meinen Worten zusammen. Sie hätte ihre Möglichkeiten permanent überschätzt. Außerdem soll sie Spaß daran gehabt haben, ihre männlichen Kameraden erst anzumachen und dann in die Wüste zu schicken.«
    »Ja, das passt einerseits zusammen, andererseits wiederum nicht. Der Ton macht die Musik. Merkwürdig!«
    »Merkwürdig? Was ist daran merkwürdig, Chef?«
    »Wie das Bild derselben Person aus der Sicht eines anderen vollständig zerbröselt.«
    »Oder sich zusammensetzt. Vielleicht haben sie unterschiedliche Informationen.«
    »Vielleicht haben sie unterschiedliche Augen, Ohren, Nasen. Unterschiedliche Gene sicherlich auch noch.«
    »Ist doch nur natürlich, Chef. Das muss man immer auf der Pfanne haben.«
    Jung sah sie aufmerksam an und schwieg.
    »Es gibt auch dumme Menschen, Chef«, fügte sie beflissen hinzu. »Von denen dürfen sie nicht erwarten, dass sie das Gleiche sehen wie schlaue.«
    Charlotte Bakkens, du fängst an, mir Spaß zu machen, dachte Jung. Und gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er mitten im Fall der ertrunkenen Kadettin angekommen war. Seine Unlust hielt sich in Grenzen.
    »Na gut. Was machen wir nun, Bakkens?«
    » Ich warte auf die nächste Lektion.«
    Sie lachten verhalten.
    »Okay, bevor wir dazu kommen, habe ich noch was anderes: Haben Sie den Obduktionsbericht in der Akte gefunden?«
    »Nein. Der war da

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