Mordsee
nur wegen ihr hier, wissen Sie. Wir kamen ins Gespräch. Sie meinte, Sie müssten unbedingt hören, was ich zu erzählen habe. Eigentlich wollte ich schlafen.«
»Hat sie Sie etwa gestört?«, unterbrach sie Jung.
»Nein, nein! Ganz im Gegenteil. Sie ist sehr freundlich. Aber ich war schon vorher entschlossen, muss ich dazu sagen.«
»Entschlossen? Zu was?«
»Wir wissen doch ganz genau, wer Sie sind und was Sie in Québec wollen. Ellens Tod ist unter uns Gesprächsthema. Das ist doch wohl klar.«
»Ja, das kann man sich denken. Ich bin aber … «
»Eigentlich soll ich gar nicht mit Ihnen reden«, unterbrach sie ihn leise.
»Was? Wer will Ihnen das verbieten?«
» Verboten ist nicht ganz korrekt. Empfohlen ist besser. Unser Offizier hat uns vorher gebrieft. Sie sollen in Ruhe Ihre Arbeit machen können.«
»Glauben Sie denn, Gespräche könnten uns davon abhalten? Das ist ein abwegiger Gedanke. Kommunikation ist das A und O in unserem Job.«
»Na ja, er meinte nur, es schwirrten schon zu viele Märchen und Gerüchte durch die Gegend. Wir sollten uns lieber da raushalten.«
»Gerüchte? Hat Sie meine Kollegin deswegen zu mir geschickt?«
»Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Das ist es ja gerade! Ich fragte sie nach ihrer Lektüre. Der Untersuchungsakte. Und dann erzählte ich ihr, dass ich die Tote persönlich gekannt habe.«
»Ach so, ich verstehe. Kluges Mädchen, meine Kollegin.«
»Ja, finde ich auch. Sie ist wirklich cool. Modern und selbstbewusst.«
»Modern? Hm, ja, mag sein.«
»Warum veralbern Sie sie eigentlich?«
»Veralbern?« Jung zog heftig die Augenbrauen hoch.
»Sie hat mich vor Ihnen gewarnt.«
»Gewarnt! Mein Gott, was habe ich denn Schlimmes getan?«
»Ich soll mich nicht abschrecken lassen, hat sie mir geraten.«
Jung riss sich zusammen und beendete die Diskussion: »Okay. Sagen Sie mir einfach, was Sie so Wichtiges auf dem Herzen haben.«
»Wichtig, ich weiß nicht. Ich wollte eigentlich nur mal sagen, dass an den Gerüchten und Märchen über Ellen nichts dran ist. Wie gesagt, ich kannte sie persönlich. Ich habe sie getroffen und … «
»Wie oft?«, unterbrach Jung ihren Redefluss.
»Nur ein Mal. Zugegeben. Aber das Gespräch mit ihr war genauso toll wie mit Ihrer Kollegin. Überhaupt, ich finde, dass sie sich ziemlich ähnlich sind.«
»Wer?«
»Die Polizistin und Ellen. Einstellungsmäßig, meine ich. Nicht figurmäßig. Da war Ellen viel kleiner und zierlicher. «
»Ah ja. Und das haben Sie ihr gesagt?«
»Nein, nicht so. Ich meine nur … «
»Okay. Erzählen Sie. Alles und ganz langsam. Ich werde Sie nicht mehr unterbrechen. Versprochen.«
»Na gut. Also, ich traf Ellen im Speicher. Das ist eine Discokneipe für Schüler, Studenten und so weiter. In Flensburg. Sie hatte gerade bei der Marine angefangen und ich hatte Leerlauf nach dem Abitur, verstehen Sie?«
»Ja, das soll vorkommen.«
»Ich wusste nicht, was ich beruflich machen wollte. Sie war solo, ich war solo. Wir wollten abhängen, chillen, wenn Sie so wollen. Dabei kamen wir ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie Ärztin werden wolle. Ich fragte, was sie dann bei der Marine zu suchen habe. Sie erklärte mir, dass die Marine Ärzte brauche. Sie bezahlt das Studium und von Anfang an ein ordentliches Gehalt. Man muss sich hinterher nur ein paar Jahre verpflichten. Man kann auch vorher wieder gehen, wenn man will. Das Geld für die Ausbildung muss man dann natürlich zurückzahlen, das ist ja klar. Na ja, und dann schwärmte sie von den Möglichkeiten: zur See fahren, die Welt kennenlernen und so weiter und so fort. Sie war sehr überzeugend und selbstgewiss, das kann ich Ihnen versichern. Mir hat das imponiert. Ich hab mich dann auch gleich beworben. Hat geklappt, wie Sie sehen. Das ist eigentlich schon alles. Ich finde es nur traurig, dass sie so sinnlos ums Leben gekommen ist. Sie hat Besseres verdient.«
Jung nickte mehrmals und schwieg. Die Soldatin sah ihn an und wartete auf eine Reaktion. Nach einer Weile sagte er: »Warum erzählen Sie mir das? Finden Sie, das ist für die Aufklärung der Todesumstände wichtig?«
»Ich finde total mies, welche Märchen und Gerüchte über sie im Umlauf sind. Einfach unfair, verstehen Sie?«
»Ah ja! Jetzt verstehe ich. Sie glauben, sie in Schutz nehmen zu müssen. Wovor?«
»Vor Verleumdung.«
»Sie fürchten, ihr Andenken wird besudelt. Okay. Aber das ist eine Sache, ihr Tod eine andere .«
»Ihr wird ja nachgesagt, sie sei depressiv gewesen, wollte
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