Mordsfreunde
finde es ungeheuer diszipliniert, wenn jemand ganze Computerprogramme schreiben kann, tagsüber als Tierpfleger und abends in einem Bistro arbeitet und dazu noch eine Firma leitet.«
Allmählich begann Pia Lukas' Verhalten zu begreifen. Er war verzweifelt auf der Suche nach Anerkennung, nach echter, aufrichtiger Zuneigung, die sich nicht bloß auf sein Aussehen reduzierte.
»Er ist unglücklich über sein gutes Aussehen«, sagte sie.
»Ich weiß«, Sander nickte. »Vor ein paar Wochen erst hat er mich gefragt, wie er herausfinden kann, ob ein Mädchen es ernst mit ihm meint oder nur sein Äußeres und das Geld seines Vaters sieht. Ein schweres Problem für einen jungen Menschen.«
»Was haben Sie ihm geraten?«, wollte Pia wissen. Sander antwortete nicht sofort. Er betrachtete die Luchse in ihrem Gehege, die bei Einbruch der Dämmerung aus ihren Verstecken gekommen waren und nun reglos dasaßen und zurückstarrten.
»Dass er damit aufhören soll, mit jedem Mädchen gleich ins Bett zu steigen«, Sanders Tonfall war sachlich, aber Pia schoss das Blut ins Gesicht. »Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass es ein großer Irrtum ist, Sex mit Liebe zu verwechseln.«
»Sex macht alles kaputt«, sagte Pia.
»Wie bitte?« Sander musterte sie erstaunt.
»Das hat Lukas zu mir gesagt. Er hat recht«, Pia spürte, wie ihr Herz klopfte und ihr abwechselnd heiß und kalt wurde. Da stand sie mutterseelenallein mit dem Mann, der sie seit ihrer ersten Begegnung fasziniert hatte, und sprach mit ihm über intimste Sachverhalte so beiläufig wie über das Wetter.
»Womit? Dass Sex alles kaputtmacht?«, fragte Sander. Der Ausdruck in seinen dunklen Augen ließ ihre Knie weich werden.
»Nein«, sie wich seinem Blick nicht aus, »dass Sex nicht gleichbedeutend ist mit Liebe. Die Lektion habe ich auf eine ziemlich schmerzliche Weise lernen müssen. Es hat mich tief erschüttert, als ich gemerkt habe, dass mein Glaube an die große Liebe eine alberne Illusion war.«
»Wieso?«, fragte Sander.
»Weil es sie nicht gibt. Es ist nur ein Märchen.« Christoph Sander betrachtete sie forschend und aufmerksam.
»Das wäre traurig«, er blickte wieder zu den Luchsen hinüber. »Carla und ich kannten uns seit der Schulzeit. Es war nicht der ganz große Knall, die Liebe auf den ersten Blick, aber es war gut. In den letzten fünfzehn Jahren habe ich nie mehr eine Frau getroffen, die mich auch nur annähernd interessiert hätte.«
Als er sich ihr plötzlich wieder zuwandte, wurde Pia heiß. Die Sonne war hinter dem Taunus verschwunden, es wurde dämmerig. Der nahe Wald strömte einen betäubenden Duft nach Harz und wildem Knoblauch aus. Sanders Gesichtszüge waren im Halbdunkel kaum zu erkennen.
»Aber dann habe ich Sie kennengelernt, und auf einmal dachte ich, vielleicht gibt es doch eine zweite Chance im Leben.«
Pias Kehle war wie zugeschnürt. Sie konnte nicht antworten, war erschüttert und gleichzeitig tief berührt von diesem Geständnis. Auf einmal musste sie an Ostermanns albernes ›Petri Heil‹ denken. Sie standen sich gegenüber, sahen einander in die Augen. Sander machte einen Schritt auf sie zu, dann noch einen. In dem Moment, als sie schon glaubte, dass er sie in die Arme nehmen würde, klingelte sein Handy.
»Entschuldigung«, sagte er bedauernd. »Aber da muss ich drangehen. Das ist der Familienklingelton.«
»Kein Problem«, Pia verschränkte die Arme und wandte sich den Wildkatzen zu, vor denen sie stehen geblieben waren. Mit einem Ohr hörte sie, wie Sander sagte, sie solle ihm die SMS schicken, er werde die Polizei benachrichtigen. Sie blickte sich zu ihm um, blieb aber auf Distanz. Das, was zwischen ihnen hätte geschehen können, musste vorläufig eine Hoffnung bleiben.
»Toni hat von Svenja eine SMS erhalten«, sagte Sander nüchtern, und Pia brauchte ein paar Sekunden, um ihre Gedanken wieder auf den Fall zu konzentrieren, von dem sie sich innerlich meilenweit entfernt hatte. Wenig später las er ihr die Kurznachricht vor. Hi Toni, tut mir leid, dass ich einfach abhaue, aber ich kann das alles nicht mehr aushalten. Ich melde mich, mir geht's gut, mach dir keine Sorgen. Svenja.
Pia kramte ihrerseits nach dem Handy und rief Bodenstein an.
»Wir müssen sofort ihr Handy orten«, sagte sie zu ihrem Chef, »und mit den Eltern reden.«
»Ich kümmere mich darum«, erwiderte Bodenstein.«Schicken Sie mir die Nachricht. Wir treffen uns vor dem Haus von Svenjas Eltern.«
Anita Percusic war eine magere Person mit
Weitere Kostenlose Bücher