Mordsfreunde
Mitarbeiter des Dezernats für Wirtschaftskriminalität hatten sich mit Feuereifer auf die Informationen über die Bock Holding gestürzt, die Ostermann ihnen am Morgen zur Verfügung gestellt hatte. Sie hatten in der Vergangenheit bereits mehrfach Hinweise darauf erhalten, dass Bock seine Aufträge auf nicht ganz einwandfreie Art erhielt, aber bisher hatten sie keine ausreichenden Beweise für eine offizielle Untersuchung in den Händen gehabt. Das hatte sich mit den vorliegenden E-Mails geändert, und das zweifelsfrei authentische Material, das Pia von Lukas erhalten hatte, würde Bock und seine Auftraggeber in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.
»Ist Zacharias eigentlich wieder zu Hause?«, erkundigte Pia sich. Sie hatte den Pick-up in der Werkstatt abgeliefert und die Kriminaltechniker von der Spätschicht gebeten, das Auto so schnell wie möglich zu untersuchen.
»Er wurde auf freien Fuß gesetzt«, Bodenstein nickte.
»Wir sollten eine TÜ für alle Anschlüsse und Mobiltelefone von Bock beantragen«, schlug Pia vor. »Er wird befürchten, dass sein Schwiegervater Geheimnisse ausplaudert.«
»Gute Idee«, sagte Bodenstein, »rufen Sie den Staatsanwalt an.«
»Könnte das vielleicht jemand anderes übernehmen?« Pia war ein bisschen verlegen. »Wenn nichts Dringendes mehr anliegt, würde ich gerne für heute Schluss machen.«
Bodenstein warf ihr einen erstaunten Blick zu, denn sie hatte während laufender Ermittlungen noch nie darum gebeten, pünktlich Feierabend machen zu dürfen.
»Hat der Fisch etwa schon angebissen?«, erkundigte sich Ostermann beiläufig, und Pia warf ihm einen finsteren Blick zu.
Bodensteins Neugier war schlagartig geweckt. »Ich lasse mein Handy an«, sagte Pia. »Wenn Svenja auftaucht ...«
»Nein, nein«, unterbrach Bodenstein sie, »gehen Sie nur. Falls wir das Mädchen finden sollten, rede ich mit ihr. Ich bin heute dran.«
Pia wusste genau, dass ihr Chef sich sofort auf Ostermann stürzen und ihn wegen seiner Bemerkung löchern würde, sobald sie das Büro verlassen hatte. Aber es war ihr egal. Sie freute sich auf den ersten freien Abend seit zehn Tagen, und noch mehr freute sie sich darauf, diesen Abend in Gesellschaft von Christoph Sander verbringen zu können.
Die letzten Besucher hatten vor einer Stunde den Zoo verlassen, nun gehörte das weitläufige Gelände nur noch den Mitarbeitern und den Tieren. Sander und Pia begannen den Rundgang in dem gerade fertiggestellten Verwaltungsgebäude, in dem sich unten ein großzügiger Eingangsbereich und oben die Büros für die Zooleitung befanden. Oberhalb des Zoos war ein Restaurant entstanden, durch dessen Panoramascheiben die Gäste in ein paar Wochen vom Tisch aus direkt auf die neue Afrika-Savanne blicken und Giraffen, Zebras, Impalas und Gnus im Freigehege beobachten konnten. Sander führte Pia an diesem Gehege vorbei zum neuen Giraffenhaus. Er erzählte von den Chancen und Möglichkeiten, die sich durch die neuen Gehege und Stallungen für den Zoo eröffneten. Pia hörte aufmerksam zu, bewunderte seine Begeisterung, seinen unverhohlenen Stolz auf das Geleistete. Immer wieder warf sie ihm unauffällige Blicke zu und bemerkte, dass sie ihn unwillkürlich mit Henning verglich, zum Nachteil ihres Noch-Ehemannes.
Sie gingen den Weg unterhalb der Afrika-Savanne entlang, vorbei an den freiheitsliebenden Erdmännchen, und bogenin den Philosophenweg ein, den Fußweg, der, von Kronberg nach Königstein führend, den Zoo in seiner ganzen Länge durchschnitt.
»Wollten Sie schon immer Zoologe werden?«, erkundigte Pia sich.
»Biologe«, korrigierte Sander, »ja, eigentlich schon. Ich bin durch beide Eltern erblich vorbelastet. Sie waren ...«
Pias Handy summte. Sie entschuldigte sich und ging dran. Entgegen ihrer Befürchtung waren es weder Henning noch Bodenstein, sondern Lukas.
»Hey, Lukas«, sagte sie, damit Sander wusste, mit wem sie sprach. »Hast du herausgefunden, wo Svenja ist?«
»Nein«, erwiderte der Junge, »ich habe überall rumtelefoniert, aber niemand weiß was. Wo sind Sie gerade?«
»Noch unterwegs«, Pia hielt ihre Antwort bewusst vage. Erstens ging es Lukas gar nichts an, was sie tat, und zweitens wollte sie vermeiden, bei Sander den Eindruck allzu großer Vertrautheit mit dem Jungen entstehen zu lassen.
»Darf ich später bei Ihnen vorbeikommen?«
»Ich glaube, das ist keine gute Idee«, sagte Pia. »Ich muss jetzt auch Schluss machen. Danke, dass du mich noch mal angerufen hast.«
»Moment!«,
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