Mordsfreunde
den Schankraum kam. Ihre Erinnerung an den letzten Stammtischabend war detailliert.
»Der Schwarze Erwin war mal wieder auf hundertachtzig«, sagte sie. »Es ging um irgendeine Sitzung und um den Pauly, den Nachbarn vom Schwarz. Mit dem haben die es mindestens einmal pro Abend.«
»Wer gehört noch zur üblichen Runde?«, erkundigte Bodenstein sich. Die Frau überlegte kurz, dann zählte sie ein paar Namen auf, unter anderem die von Metzgermeister Conradi und Norbert Zacharias.
»Waren die beiden am Dienstag auch hier?«
»Der Conradi nicht, nein«, sie schüttelte den Kopf, »der hatte irgendetwas anderes zu tun, aber der Zacharias war da. Ungefähr bis zehn, dann ist er weg. Er war den ganzen Abend ziemlich still. Danach hat der Schwarz erst richtig losgelegt.«
Zwei Männer betraten den Schankraum und gingen zu einem der Tische neben dem Tresen.
»Ist das nicht Buchhändler Flöttmann?«, erkundigte sich Bodenstein bei der Bedienung. Die Frau wandte sich um.
»Ja, das ist er«, bestätigte sie. »Der Flöttmann und der Siebenlist, zwei Freunde vom Pauly.«
»Siebenlist?«, fragte Pia. »Vom Möbelhaus Rehmer?«
»Genau der«, die Kellnerin nickte und fügte in einem vertraulichen Tonfall hinzu: »Seitdem die Frau vom Flöttmann mit dem Manthey vom Reisebüro abgehauen ist, kommt er fast jeden Mittag hierher zum Essen. Manchmal ist der Siebenlist dabei, und hin und wieder war auch der Pauly da.«
Bereitwillig offenbarte sie ihr profundes Wissen über die verschlungenen Windungen des geheimen Privatlebens ihrer Stammkunden.
»Mindestens einmal in der Woche gönnt sich der Pauly ein Schnitzel oder ein Rumpsteak. Immer nur Gemüse und Tofu, das ist wohl nicht das Wahre. Und neulich saß sogar der Zacharias dabei, aber das darf der Schwarze Erwin natürlich nicht wissen.«
Die beiden Männer bemerkten Bodenstein und Pia erst, als diese direkt neben dem Tisch standen, so vertieft waren sie in eine mit leisen Stimmen geführte, aber ziemlich erregte Diskussion. Beide hatten natürlich schon von Paulys Tod gehört, Esther Schmitt hatte sie gestern angerufen, und Flöttmann war sogar zu ihr hingefahren, um sie zu trösten. Er war groß und hager mit einem gepflegten Fünf-Tage-Bart und randloser Brille, sein graumeliertes Haar lichtete sich an der Stirn.
»Wir waren Freunde seit unserer gemeinsamen Schulzeit«, Flöttmann zog an seiner Zigarette. »Ich bin total schockiert.«
Stefan Siebenlist, der Geschäftsführer des Möbelhauses Rehmer, war ein dicklicher Mann mit Stirnglatze, Brille und einem markanten Feuermal an der linken Schläfe, dem man den früheren Dammbesetzer nicht mehr ansah. Er hatte wässrige Augen und einen feuchten Händedruck, den Pia sich unauffällig an ihrer Jeans abwischte. Flöttmann und Siebenlist hatten gemeinsam mit Pauly die Schule besucht, als Oberschüler aus Protest gegen konservative Elternhäuser mit der ultralinken Szene, den Atomkraftgegnern und der RAF sympathisiert, um Ende der siebziger Jahre ein ideologisches Zuhause bei den neu gegründeten GRÜNEN zu finden. Ihre tatkräftige Beteiligung an der Besetzung des B8-Dammes im Mai 1979 war aus voller Überzeugung geschehen. Doch während Pauly seine linke Gesinnung und seine Protesthaltung während des Studiums weiter kultiviert hatte, hatten esseine Freunde für besser gehalten, sich den sozialen Normen anzupassen. Wolfgang Flöttmann hatte die Buchhandlung seiner Eltern übernommen, Stefan Siebenlist hatte Bärbel Rehmer geheiratet und war seit zehn Jahren Geschäftsführer des renommierten Möbelhauses Rehmer. Beide galten in Kelkheim als angesehene Bürger und hatten entscheidend dazu beigetragen, die ULK in der Stadt zu etablieren. Vor ein paar Jahren hatte Siebenlist den Vorsitz übernommen, nachdem die anderen Mitglieder Pauly als zu radikal abgewählt hatten.
»Ich kann nichts Schlechtes über Ulli sagen«, Flöttmann schob mit dem Zeigefinger die Brille hoch zur Nasenwurzel. »Er konnte einerseits hitzköpfig und kompromisslos sein, andererseits aber großherzig und großzügig. Er war mein Freund, auch wenn wir oft und sehr kontrovers diskutiert haben. An Ulli konnte man sich reiben. Er wird mir fehlen.«
Er lächelte traurig und seufzte.
»Vor allen Dingen tut es mir schrecklich leid, dass wir uns bei unserer letzten Begegnung gestritten haben. Jetzt gibt es keine Möglichkeit mehr für eine Versöhnung.«
»Wieso haben Sie sich gestritten?«, fragte Bodenstein.
»Ulli hat uns mit seinen öffentlichen
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