Mordsgefluester
Körperbau eines Mannes, der sein ganzes Leben schwer gearbeitet hatte, doch sein Gesicht wirkte eingefallener, als ich es je gesehen hatte. Vor dem Krach mit Sally hatte er etwas an Gewicht zugelegt, aber soweit ich erkennen konnte, hatte er die Pfunde und noch ein paar dazu wieder verloren. Er kam unvermittelt zum Stehen, als er mich sah, und zog verdattert die Stirn in Falten.
»Blair?«, fragte er schließlich beinahe zaghaft, und ich stand auf.
»Du siehst gut aus«, sagte ich, ging zu ihm hin, umarmte ihn und gab ihm dann wie schon immer einen Kuss auf die Wange. »Könnte ich dich kurz sprechen?«
»Natürlich«, sagte er. »Komm in mein Büro. Möchtest du einen Kaffee? Lurleen, haben wir Kaffee?«
»Ich kann einen machen«, sagte das Schlachtschiff lächelnd.
»Nein, das ist nicht nötig, vielen Dank.« Ich lächelte Lurleen an.
Jazz führte mich in sein Büro, ein deprimierendes Gefängnis voller Staub und Papier. Sein Schreibtisch war das gleiche graumetallene Standardmodell wie die beiden Tische im Vorraum. Es gab zwei verbeulte grüne Aktenschränke, seinen – mit Paketband verpflasterten – Bürostuhl und zwei Besucherstühle in einem Grün, das haarscharf mit den Aktenschränken disharmonierte. Auf seinem Schreibtisch standen ein Telefon, zwei Postablagekörbe, eine Kaffeetasse mit der üblichen Ansammlung von Kugelschreibern sowie einem Schraubenzieher mit abgebrochenem Griff – damit hatte sich die Büroeinrichtung erschöpft.
Ahnungslos war gar kein Ausdruck für diesen Menschen. Der arme Mann war Wachs in Monica Stevens Händen gewesen, als er sie beauftragt hatte, sein und Sallys Schlafzimmer neu einzurichten.
Er schloss die Tür, das Lächeln erlosch, als hätte es nie eines gegeben, und er fragte argwöhnisch: »Hat Sally dich geschickt?«
»Gütiger Gott, nein!«, sagte ich aufrichtig überrascht. »Sie hat keine Ahnung, dass ich hier bin.«
Er entspannte sich ein wenig und strich sich mit der Hand über den Schädel. »Gut.«
»Wieso gut?«
»Weil sie nicht mit mir spricht, aber mir über Mittelsleute, von denen sie weiß, dass ich mit ihnen rede, Nachrichten schickt.«
»Hm, ach so, entschuldige. Keine Nachrichten.«
»Kein Grund, sich zu entschuldigen.« Er begann wieder mit seiner Kopfmassage. »Ich will keine Nachrichten bekommen. Wenn sie mit mir reden will, soll sie sich verflucht noch mal wie eine Erwachsene benehmen und zum Telefon greifen.« Er sah mich kurz verlegen an, als wäre ich immer noch drei Jahre alt. »Verzeihung.«
»Ich glaube, ich habe das Wort ›verflucht‹ schon mal gehört«, beruhigte ich ihn nachsichtig lächelnd. »Soll ich dir meine Liste von verbotenen Wörtern aufsagen?« Als kleines Mädchen hatte ich gern alle Wörter aufgezählt, die ich nicht sagen durfte. Schon damals führte ich Listen.
Er lächelte ebenfalls. »Ich glaube, die habe ich auch schon mal gehört. Also, was führt dich zu mir?«
»Zwei Dinge. Erstens wollte ich dich fragen, ob du noch die Rechnung von Monica Stevens für euer neues Schlafzimmer hast?«
Er verzog das Gesicht. »Darauf kannst du wetten. Schließlich habe ich der Frau zwanzigtausend Dollar in den A – ich meine in den Rachen geworfen.«
Zwanzigtausend? Ich stieß einen langen, leisen Pfiff aus.
»Ja, ja, erzähl mir nichts«, brummelte Jazz. »Dem Narren rinnt das Geld durch die Finger. Einen Teil davon habe ich für die alten Möbel erstattet bekommen, die sie in ihrem Laden verkauft hat, aber trotzdem.«
»Ist die Rechnung hier?«
»Natürlich. Ich konnte sie schlecht nach Hause schicken lassen, wo Sally sie gesehen hätte, oder? Das sollte doch eine Überraschung für sie sein. Was es auch war. Man hätte meinen können, ich hätte ihr die Kehle aufgeschlitzt.« Er stand auf, zog eine Schublade des Aktenschrankes neben seinem Schreibtisch auf, blätterte durch die Hängeordner und klaubte dann einen Stapel Papiere heraus, den er auf den Schreibtisch klatschte. »Hier.«
Ich nahm die Rechnungen und blätterte sie durch. Die Gesamtsumme lag nicht ganz bei zwanzigtausend, aber knapp darunter. Jazz hatte sich ordentlich schröpfen lassen für ein Mobiliar, das avantgardistisch, handgemacht, hässlich wie die Sünde und doppelt so teuer war. Monica hatte sogar den Teppichboden im Schlafzimmer auswechseln lassen, neue Kunstwerke installiert, die ein kleines Vermögen gekostet hatten – was war »Luna« überhaupt? Ich wusste, dass das Word »Mond« bedeutete, aber hatte sie etwa einen falschen Mond im
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