Mordsgefluester
Richtung als Wyatts, erkannte ich. Für ihn gab es keinen Grund, warum mich jemand verfolgen sollte, ergo wurde ich auch nicht verfolgt. Im Unterschied zu ihm wusste ich, dass der Fahrer des Wagens auf der Abbiegespur derselbe Fahrer war, der auf der anderen Straßenseite geparkt hatte und vor mir eingetroffen war. Ich hatte zwar keinen Beweis, aber etwas zu wissen und es beweisen zu können sind zweierlei.
Wenn ich mir die Verfolgung aber nicht eingebildet hatte, war anzunehmen, dass ich auch nicht paranoid war. Ich hegte selbst ein paar stille Zweifel, weil mir ebenfalls nicht in den Kopf wollte, warum mich jemand verfolgen sollte. Aber seit ich mir bewusst gemacht hatte, dass ich eindeutig verfolgt wurde, tat der Grund nichts mehr zur Sache, wenigstens nicht, soweit es die angebliche Paranoia anging – es sei denn, ich halluzinierte obendrein, doch dann waren all meine Überlegungen hinfällig, weil dann nichts von alledem geschehen war.
Zwei Punkte geklärt, noch fünf offen.
Das »gestört« machte mir zu schaffen. Ich bin weder irre noch gestört. Manchmal setze ich ein scheinbar wirres Konvolut an Maßnahmen ein, um meine Ziele durchzusetzen, aber das tue ich entweder, um meinen Gegner in dem Glauben zu wiegen, ich sei ein mentales Leichtgewicht, damit er mich unterschätzt, oder weil mir die Mittel ebenso viel Freude bereiten wie der Zweck selbst. Wyatt hatte mich nie unterschätzt. Er nahm mein geistiges Geschwurbel als das, was es war: eine Strategie. Ich gewinne genauso gern wie er.
Warum nannte er mich dann gestört? Darauf fand ich einfach keine Antwort. Die musste er mir geben.
Die anderen vier Punkte waren viel zu kompliziert und bedeutsam, als dass ich sie jetzt angehen konnte. Ich war zu müde, zu gestresst, zu aufgewühlt. Wyatt und ich standen kurz vor der Trennung, und ich wusste nicht, was ich dagegen unternehmen sollte.
Ich war schon fast eingeschlafen, als mir auffiel, dass er keinen Ton zu meiner neuen Frisur gesagt hatte. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Ich weinte.
Ich schlief, aber nicht gut und nicht lange. Auch hatte mein Unterbewusstsein nicht auf wundersame Weise die Antworten zu meinen Problemen erarbeitet.
Die Vernunft sagte mir allerdings, dass ich nicht so tun konnte, als wäre die Zeit angehalten worden. Die Hochzeit würde stattfinden, es sei denn, Wyatt und ich beschlossen das Gegenteil. Das bedeutete, dass ich zu arbeiten hatte. Meine Begeisterung war nicht ganz so ausgeprägt wie am Vortag – genauer gesagt lag sie knapp über dem Nullpunkt –, aber ich konnte es mir nicht leisten, das Tempo zu drosseln.
Mein erster Zwischenstopp an jenem Morgen führte mich zu Jazz’ Betrieb, der Arlington Heating and Air Condition. Jazz installierte die Klimaanlagen nicht mehr selbst, er hatte Angestellte, die das für ihn übernahmen, aber er ging immer noch auf jede neue Baustelle und errechnete, wie viele Geräte er brauchen würde, wo sie platziert werden mussten, wie die Belüftungsschächte möglichst effektiv geführt wurden, solche Sachen. Weil Luke für mich ein wenig spioniert hatte, wusste ich jedoch, dass Jazz im Büro und nicht auf irgendeiner Baustelle wäre.
Der Betrieb war in einem kleinen Backsteingebäude in einem Gewerbegebiet untergebracht, das dringend einen Landschafsarchitekten gebraucht hätte – das ganze Gewerbegebiet, nicht nur Jazz’ Betriebsgebäude. Ich war noch nie hier gewesen, und der Anblick dieses Gebäudes bewirkte, dass ich Jazz’ Ehe mit Sally in einem ganz neuen Licht sah. Der Bau war gnadenlos schlicht und schmucklos, nicht einmal ein einsamer Busch stand neben dem rissigen Betonplattenboden, der vom Kiesparkplatz zur Eingangstür führte. Die Fenster an der Frontseite hatten zwar Sonnenblenden, aber da das Gebäude nach Westen ausgerichtet war, wäre das gesamte Personal, wenn die Blenden nicht angebracht worden wären, jeden Nachmittag geblendet worden. Wahrscheinlich heißen Blenden deshalb Blenden, oder?
Im Empfangsraum standen zwei graue Metallschreibtische. Am ersten saß ein Schlachtschiff in menschlicher Gestalt. Wir alle kennen den Typus: riesige grauhaarige Bienenkorbfrisur, Brille an einer Kette, Atombusen, der ihr immer zwei Schritte voraus war. Die Frau am zweiten Schreibtisch war jünger als die erste, aber nicht viel; Ende vierzig, während die andere schätzungsweise Mitte fünfzig war. Als ich eintrat, hörte ich sie miteinander tratschen, aber kaum hatten sie mich bemerkt, da verstummten
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