Mordshunger
sie in der Hand gehalten hatte. Cüpper gewahrte einen großen Klumpen Hackfleisch darin, genug für achtzig Frikadellen.
»Na und?«
»Ich muss Sie sprechen, Frau Ried. Aber bitte … nicht hier, wenn es sich einrichten lässt.«
»Warum? Hast du Schiss? Hast du was gegen meine Tiger?«
»Ja, ich hab was gegen Tiger. Können wir jetzt rausgehen?«
»Nein. Ich hab zu tun.« Sie packte den Eimer und ging zu den Käfigen hinüber.
»Es dauert nicht lange.«
»Nichts kann so wichtig sein, dass er seine Medizin nicht kriegt.« Er war offensichtlich der Tiger, der seinen riesigen Kopf nun an den Stäben rieb und Nahrung witterte.
Cüpper biss die Zähne zusammen und trat ebenfalls einen Schritt heran. Die Katze brüllte erneut, und er drückte sich wieder gegen die Wand.
Raubkatzen.
Allein der Anblick genügte, um einen schwitzenden Idioten aus ihm zu machen, so dass seine Eingeweide kontraktierten und er glaubte, sich übergeben zu müssen. Man hätte ihn auf einen Grizzly setzen und mit einem Schlauchboot in ein Becken voller Haie senken können, alles kein Problem. Nur keine Katzen! Keine kleinen und schon gar keine, die länger als zwei Meter waren.
Mit trockenem Mund sah er zu, wie Marion Ried den benachbarten Käfig aufschloss und das Fleisch hineinkippte. Dann schloss sie wieder ab und öffnete die stählerne Verbindungsklappe. Der Tiger drehte sich um seine Achse, schlüpfte elegant nach nebenan und machte sich über die Mahlzeit her.
»Entschuldigung«, murmelte Cüpper, »ich wusste nicht, dass Fütterung ist.«
»Ist auch nicht«. Der Zorn war aus Marion Rieds Gesicht verschwunden. Ihr Blick ruhte fast zärtlich auf dem Tiger. »Wir füttern morgens um acht. Aber mit ihm ist irgendetwas nicht in Ordnung. Er verträgt kein festes Fleisch mehr, also geben wir ihm Hack und mischen Medikamente drunter. Heute Morgen musste er sich wieder übergeben, alles kam raus, auch die Pillen. Ich hab ihn zwei Stunden lang beobachtet, scheinbar geht’s ihm besser. Zweiter Versuch also. Hoffentlich bleibt diesmal alles drin.«
Cüppers Puls beruhigte sich ein wenig.
»Es wäre wirklich nett, wenn Sie kurz mal mit nach draußen kämen.«
»Ich seh schon. Katzenallergie.« Sie schüttelte den Kopf. »Friss schön. Bin gleich wieder da.«
Sie gingen auf den Vorplatz des Gebäudes, bewacht von zwei bronzenen Löwen, und Cüpper war dem Herrgott dankbar, dass er wieder im Regen stehen durfte.
Marion Ried schnaubte ungeduldig.
»Also gut, was gibt’s?«
Cüpper betrachtete sie. Anfang zwanzig, kupferrote Locken, ungeschminkt. Sommersprossen, wohin man sah. Die Nase war zu klein, das Kinn kantig und der Mund zu groß. Nie zuvor hatte er eine Frau gesehen, die so wenig schön und zugleich so ungeheuer attraktiv war.
»Ihre Mutter ist tot«, sagte er langsam.
Die grünen Augen fixierten ihn wie eine Beute.
»Ich weiß.«
»Hat Ihr Vater …?«
»Fritz? Der ist nicht mein Vater. Ja, er hat. Kann ich jetzt wieder an meine Arbeit?«
»Nein. Ihre Mutter ist ermordet worden!«
»Das stand zu erwarten.«
Cüpper verschlug es die Sprache.
»Warum?«, brachte er schließlich hervor.
»Weil sie ein Schwein war. Darum.«
»Frau Ried, Sie sprechen über Ihre Mutter. Ich meine …«
»Halt mir keine Predigt!«, schrie sie. »Sag deinen Spruch auf und verdufte.«
Sie ließ ihn stehen und stapfte zurück zu dem Gebäude.
Cüpper stand da wie vom Blitz getroffen. Endlich löste sich seine Erstarrung, und er lief ihr hinterher. Als er sie an der Schulter packte, riss sie sich los und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Cüppers Rechte zuckte hoch, aber er beherrschte sich im letzten Augenblick. »Sie bleiben hier«, zischte er.
Marion Ried sah sehnsuchtsvoll zur Tür. »Ich muss zu meinen Katzen.«
»Sie müssen gar nichts. Wann hat Ihr Vater Sie verständigt?«
»Er ist nicht mein Vater!«
»Gut, dann eben Ihr Stiefvater.«
Sie verdrehte enerviert die Augen. »Kurz nachdem Sie bei ihm waren, rief er an und sagte, Inka sei tot. Ich war erschüttert, wie es sich gehört, habe pflichtbewusst zwei Aspirin genommen, ferngesehen und bin dann in den Zoo gegangen.«
»Ich bin beeindruckt. Wo waren Sie gestern Abend?«
»Im Kino.«
»Welches Kino?«
»Cinedom.«
»Welcher Film?«
»Bond. James Bond«, fügte sie giftig hinzu.
»Uhrzeit?«
»Viertel nach acht.«
»Bis?«
»Weiß der Henker. Kurz nach zehn, vermute ich.«
»Und dann?«
»Bin ich nach Hause gegangen.«
»Was haben Sie da gemacht?«
»Hab
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