Mordshunger
sonderlich schockiert waren«, meinte Cüpper und schlug die Beine übereinander, was dazu führte, dass er noch tiefer in die Polster rutschte.
»Sondern?«
»Gelangweilt wäre treffender.«
Von Barneck betrachtete seine Fingerspitzen und legte sie sorgfältig aufeinander. Irgendwo tickte eine Uhr. »Sehen Sie, Herr Cüpper, mir ist sehr daran gelegen, dass Sie kein falsches Bild von der Situation gewinnen. Zu diesem Zweck habe ich mich entschlossen, Ihnen jemanden vorzustellen, auch wenn ich mich damit ein bisschen … sagen wir mal, oute. Max?«
Der Mann am Fenster drehte sich zu ihnen um. Cüpper wollte etwas erwidern, aber dann verschlug es ihm die Sprache.
»Sag guten Tag, Max«, schmunzelte von Barneck.
Max trat zu Cüpper und grinste ihn freundlich an.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Herr Kommissar.«
Cüpper blickte irritiert vom einen zum anderen. Von Barneck stützte das Kinn in die Hände und betrachtete ihn unter halbgeschlossenen Lidern.
»Nun?«, fragte er schließlich. »Was denken Sie?«
»Ihr Zwillingsbruder«, mutmaßte Cüpper.
»Zwillingsbrüder ähneln einander. Das wäre in diesem Fall ein bisschen untertrieben, meinen Sie nicht auch?«
Cüpper wuchtete sich aus den Polstern und trat dicht vor sein Gegenüber. Ließ man Haarfarbe und Schnitt beiseite, stand ihm ein zweiter von Barneck gegenüber. Der Millionär hatte recht. Sie ähnelten einander nicht, sie waren gleich.
Vollkommen gleich.
»Max Hartmann ist mein Doppelgänger«, sagte von Barneck. »Ich gehe damit nicht hausieren, also haben Sie die Freundlichkeit, Ihr Wissen sparsam zu verwenden. Der Grund für meine Offenheit wird Ihnen klar sein.«
Cüpper wanderte um Hartmann herum und hinüber zu von Barneck. Eine Zeitlang hörte man nur das schleifende Ticken der Uhr.
»Na schön«, meinte er schließlich. »Wer hat nun Ihre Frau auf dem Gewissen? Er oder Sie?«
»Die Frage war vorauszusehen. Darum diese Veranstaltung. Ich hatte keinen Grund, Inka etwas anzutun, und Max ebenso wenig. Aber das können Sie nicht wissen. Jeder kann verdächtig sein, nicht wahr? Und was wäre einfacher, als sich per Doppelgänger ein Alibi zu verschaffen? Unter uns gesagt, die wenigen Personen, die von Max’ Existenz wissen, sind zu bedingungslosem Stillschweigen verdonnert. Sie hätten also nie erfahren, dass es ihn überhaupt gibt.«
»Sie hätten also nie erfahren, dass es ihn überhaupt gibt«, sagte Max und ließ sich in einen der Sessel fallen. Seine Stimme klang exakt wie die von Barnecks.
»Er kann sie verstellen«, erläuterte der Millionär. »Bevor Sie mich jetzt fragen, warum ich die Katze aus dem Sack lasse – ich spiele gern mit offenen Karten.«
»Ich auch«, pflichtete Max ihm bei, nun wieder mit seiner eigenen Stimme. Er beugte sich vor. »Fritz und ich wollen natürlich erfahren, wer Inka auf dem Gewissen hat. Aber wir wollen nicht, dass Sie in die falsche Richtung laufen. Finden Sie ihren Mörder, aber suchen Sie ihn da, wo er auch ist.«
»Augenblick mal!« Cüpper hob die Hände. »Alles der Reihe nach. Schön, Sie haben also einen Doppelgänger. Darf man fragen, wozu?«
»Sie dürfen«, nickte von Barneck. »Ich werde es Ihnen sogar erzählen. Sehen Sie, meine Mittel und Möglichkeiten erlauben mir eine gewisse Einflussnahme auf das öffentliche Leben. Da gibt es Etliches, was ich in den letzten Jahren verändert habe und noch verändern werde. Aber Sie glauben ja nicht, wie uneinsichtig die Leute sind! Haben Sie eine Vision, können Sie sich auf Heerscharen militanter Bedenkenträger gefasst machen, die beispielsweise der Meinung sind, unser zerbombter, verschandelter Eigelstein mit seinen Bruchbuden von Wohnungen und Kramläden hätte irgendeinen kulturellen Wert. Wenn Ihnen gar so etwas wie Stadtsanierung am Herzen liegt und Sie Ihre Aktivitäten in die Politik verlegen, werden Sie für einige ewig Gestrige gefährlich. Die größten Spießer sind die größten Terroristen. Vor gut drei Jahren fuhr ich zum Kölner Rathaus, als einige dieser Terroristen meinen Wagen stoppten, mich herauszerrten und auf offener Straße zu entführen versuchten. Sie hielten mir eine Pistole an den Kopf, was unter uns gesagt zu den weniger erstrebenswerten Erfahrungen zählt, die ein Mensch machen kann. Ich war zu dieser Zeit Hauptinitiator eines größeren Abrissprojekts in der Südstadt. Schmucke, helle Wohnungen gegen miese, verrottete Löcher. Aber diese Damen und Herren waren anderer Meinung. Sie liebten die miesen,
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