Mordshunger
Zeit Püree gegeben. Und so weiter, und so weiter.«
»Wie halten Sie das aus?«
»Geht Sie nichts an.«
»Na schön. Erzählen Sie mir etwas über Ihren Vater.«
»Er hat meine Mutter gefickt.«
»Das sieht man.«
»Herrgott, ich weiß es nicht! Ich kenne meinen Vater nicht. Er war irgend so ein armer Kerl, der es ihr besorgen musste. Als ich geboren wurde, spielte er schon keine Rolle mehr. Meine Mutter hat mich aufgezogen.« Sie kräuselte die Lippen. »Wenn man das so nennen kann.«
»Und Fritz von Barneck?«
»Den hat sie vor ungefähr zehn Jahren kennen gelernt. Dann haben sie geheiratet, bums, basta, aus.«
»Und Sie?«
»Ich musste in dieser verdammten Villa wohnen, wo sich erst recht keiner um mich kümmerte.«
»Auch nicht Ihre Mutter?«
»Müssen Sie denn alles wissen?«
»Muss ich.«
»Es ist doch scheißegal, wer meine Mutter umgebracht hat.«
Cüpper lehnte sich zurück und betrachtete sie aufmerksam. Ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Stoisches. Marion Ried war eine Festung mit unbekanntem Inneren.
»Ist es das wirklich?«
Sie antwortete nicht.
»Passen Sie auf, Frau Ried«, sagte Cüpper ruhig. »Ich akzeptiere, dass es Ihnen gleich ist. Für den Augenblick. Aber mir ist es nicht gleich. Ich werde nämlich dafür bezahlt, es herauszufinden, also geht es hier um meine Interessen. Ich brauche Ihre Hilfe.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Und vielleicht brauchen Sie meine.«
»Ich brauche keine Hilfe.«
»Doch. Sie brauchen schon Ihr ganzes Leben Hilfe.«
»Mein Leben ist okay!«
»Aber jetzt haben wir eine Leiche, und die stammt aus Ihrer Familie. Und wir haben einen Mörder, der noch einmal zuschlagen könnte. Solange wir nicht wissen, was dahintersteckt, ist nichts okay!«
Sie sprang auf und funkelte ihn zornig an.
»Ich will nichts damit zu tun haben, Cüpper! Das ist für mich abgeschlossen, aus und vorbei. Ich habe sie nicht umgebracht, nicht dabei geholfen und nichts davon gewusst. Also vergessen Sie mich einfach, klar?«
Cüpper nickte. »Klar. Sie sind es ja gewohnt, vergessen zu werden.«
Sie holte tief Luft. Cüpper kam ihr zuvor.
»Gut, Frau Ried. Ich brauche Sie nicht mehr. Ich werde Sie vergessen. In dieser Sekunde. Falls ich Sie in diesem Fall als relevant erachtet haben sollte, habe ich mich halt geirrt. Falls ich so etwas wie Sympathie für Sie empfunden habe, war’s wahrscheinlich ein Versehen. Sobald Sie mein Büro verlassen haben, sind Sie ausgelöscht.« Er tippte sich an die Stirn. »Restlos. Für immer.«
Er nahm den Untersuchungsbericht zur Hand und fing an, darin zu blättern. Nach einer Weile schaute er auf. Marion Ried stand mit geballten Fäusten vor seinem Schreibtisch wie Lots Weib.
»Wer sind Sie denn?«, fragte Cüpper.
»Na schön, was wollen Sie wissen?«, zischte sie.
»Nichts. Verschwinden Sie.« Er begann wieder zu arbeiten.
»Aber Sie haben mich doch kommen lassen!«, schrie sie ihn an. »Wozu?«
»Ist mir entfallen.«
»Ich werde nicht gehen!«
»Doch. Hauen Sie ab. Sie hauen doch immer ab, stimmt’s? Weil Sie keiner lieb hat. Also heulen Sie ein bisschen, und dann legen Sie sich in den Zoo zu Ihren Katzen.«
»Sie sind nicht mein Therapeut.«
»Nein. Gott sei Dank nicht.«
Er pfiff eine Melodie und ordnete Akten zu kleinen Paketen. Sie wartete noch eine Weile, dann drehte sie sich wortlos um und ging zur Tür.
»Marion.«
Sie blieb stehen.
»Schönen Abend noch.«
Die Tür knallte hinter ihr zu. Cüpper starrte den Stuhl an, auf dem sie gesessen hatte.
Scherben
Rabenhorst versuchte es erneut in der Agentur, aber Astrid Hasling war den ganzen Tag nicht erschienen, und Holger Renz saß in irgendeinem Flieger auf dem Weg nach München. Er plauderte entspannt mit einigen Leuten, scherzte mit der Dame vom Empfang und gab sich höflich interessiert, was den Ablauf in der Agentur betraf. Als er kurz darauf zu seinem Wagen ging, wusste er zumindest, dass tags zuvor niemand ein Pflaster an Astrid Haslings Hand bemerkt hatte.
Auch in der Overstolzenstraße schellte er vergebens. Das Wasser lief ihm währenddessen in den Nacken, bis er nicht mehr wusste, ob es der Regen oder sein eigener Schweiß war, der ihm das Hemd an den Rücken klatschte. Rabenhorst schaute mit zusammengekniffenen Augen in die graue See des Himmels und dann auf die Uhr. Kurz nach sechs. Gestern um diese Zeit war Astrid in Inka von Barnecks Wohnung aufgetaucht, vermutlich voller Hass und Angst, hatte sich erniedrigt, gebettelt, geschrien, geweint und dann
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