Mordshunger
Präsidium fuhren, »wenn man Ihre jammervolle Generalprobe außer Acht lässt. Einmal bei geöffneter Tür neben der Garderobe, dann weiter innen.«
»Neben dem Dreibein«, nickte Rabenhorst.
»Das Sie dann umgestoßen haben. Der Bazaar hat dicke Wände und Decken. Das Aufschlagen eines schweren Gegenstandes ist in der Wohnung darunter eben noch zu hören, wir hörten es also zweimal. Ihren Schrei aber nur einmal, nämlich den ersten. Wenn Schramm dort, wo er sich zum fraglichen Zeitpunkt aufhielt, nämlich an seine Wohnungstür gelehnt, Inkas Schrei gehört hat, gibt es nur einen Platz, wo sie geschrien haben kann.«
»Ja. Gleich neben der geöffneten Wohnungstür.«
»Genau da. Das Treppenhaus wirkte als Resonator, es hat den Schrei verstärkt. Wäre er weiter drinnen ausgestoßen worden, hätte Schramm ihn nicht mehr hören können. Also wissen wir jetzt, wo geschrien wurde. Sehen wir mal weiter. Angenommen, Inka lässt Astrid ein und bemerkt im Augenblick, da sie die Tür schließen will, das Messer. Sie schreit auf. Können Sie mir nun sagen, warum erst fünf bis zehn Sekunden später das Dreibein umfällt?«
»Sie haben gekämpft. Oder Inka hat versucht zu fliehen.«
»Ins Innere der Wohnung?«
»Ja. Warum nicht?«
»Weshalb nicht in den Flur? Sie stand doch an der Tür?«
»Vielleicht stand Astrid dazwischen.«
»Meinetwegen. Also, Inka flieht. In Panik, ist ja klar. Wie lange braucht ein laufender Mensch von der Tür bis zum Dreibein, um es umzustoßen?«
»Drei Sekunden«, meinte Rabenhorst zögerlich.
»Höchstens!«, bekräftigte Cüpper. »Aber Inka kennt ihre Wohnung. Warum sollte sie gegen ihren eigenen Tisch laufen? Oder Astrid, die ihr folgt?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich haben sie von Anfang an gekämpft. Auf diese Weise sind sie irgendwann gegen das Dreibein gestoßen und haben es umgerissen.«
»Schweigend?«
»Wieso?«
»Ich meine, Inka stößt einen gellenden Entsetzensschrei aus, um dann sekundenlang schweigend zu kämpfen, wirft einen Tisch um, schafft es, bis zur Tür zu kommen, wo man sie eigentlich wieder hätte hören müssen, und das alles ohne einen einzigen Laut? Ohne wenigstens um Hilfe zu rufen?«
»Vielleicht«, wand sich Rabenhorst, »ist sie ja schon neben dem Tischchen ermordet worden.«
»Abgesehen davon, dass die Spurensicherung jeden anderen Platz als den vor der Garderobe für die eigentliche Tat ausschließt, wüsste ich keinen Grund, die tote Inka bis zur Tür zu schleifen und dann so zu tun, als hätte sie den Blazer heruntergerissen. Oder?«
Rabenhorst nickte stumm.
»Ein lauter Schrei, dann Stille, dann das umgeworfene Dreibein, dann wieder Stille, dann die Flucht.« Cüpper hob die Brauen. »Schon komisch, was? Sagen Sie mal, Rabenhorst, was täten Sie wohl, wenn ich plötzlich mit dem Messer vor Ihnen stünde? Was würden Sie sagen?«
»Ich würde sagen, Cüpper, Mann, was soll das? Hey, das ist doch nicht Ihr Ernst! Legen Sie das Messer weg, lassen Sie uns drüber reden, und so weiter, und so weiter.«
»Klingt irgendwie anders als Arrrgggghhhh! und Gottogottogott!«
»Dann hat sie ihr die Kehle halt sofort durchgeschnitten, Himmel, Arsch und Zwirn!« Rabenhorst rang die Hände. »Nein, hat sie nicht. Doch, hat sie wohl. Gleich, als sie reinkommt. Inka wird von hinten überrascht, als sie sich umdreht, um die Tür zu schließen. Astrid erkennt, was sie getan hat, lässt das Messer neben die Leiche fallen, taumelt fassungslos zurück und stößt dabei gegen den Tisch. Alles geht zu Bruch, sie verletzt sich an den Scherben und haut ab, wobei sie mit der blutigen Hand an den Türrahmen packt!«
»Warm, Rabenhorst, um nicht zu sagen, heiß! Nebenbei gefragt, wie sagt man eigentlich mit durchgeschnittener Kehle ›Oh Gott‹?«
»Ach, ich weiß nicht weiter.«
»Noch was. Inka wurde eindeutig von hinten und ebenso eindeutig von einem Linkshänder umgebracht. Astrid hat sich an der linken Hand verletzt, und zwar so böse, dass ihr Blut an den Messergriff gelangt sein müsste. Aber da war nichts.«
»Ich geb’s auf«, seufzte Rabenhorst.
Sie parkten den Wagen und nahmen den Lift in Cüppers Büro.
»Und wie wollen Sie das alles nun erklären?«, fragte Rabenhorst.
»Seien Sie nicht so verdammt griesgrämig«, grinste Cüpper. »Ist es nicht schön, dass unsere arme Astrid keinen Mord begangen hat?«
»Zum Teufel auch. Was hat sie dann?«
»Ganz einfach, Rabenhorst. Sie hat geschrien.«
Zoo
Marion Ried saß im Schneidersitz vor dem
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