Mordshunger
kümmerte? Hätte sie ihn wegstoßen dürfen, als er kam, um sie zu trösten? Brachten sie sich nicht alle gegenseitig um, jeden Tag, immer ein bisschen?
Hätte, hätte!
Hätte sie mit Cüpper tanzen dürfen?
Ulli schrie sich die Seele aus dem Leib. Sein Anzug funkelte im Scheinwerferlicht. Marion stand auf und ging nach oben ins Büro des Geschäftsführers, um ein Telefonbuch zu suchen.
Ein Gewitter entlud sich über Köln. Der Himmel war weiß von Blitzen.
Rabenhorst lag zwischen Stapeln geliehener Kochbücher und blätterte sich die Fingerkuppen wund. Schließlich gab er es auf und wählte widerstrebend eine Nummer.
»Rabenhorst?«
»Hier auch.«
»Junge! Das ist aber eine Überraschung. Eben habe ich noch zu deinem Vater gesagt, der Rolfi hat uns ganz vergessen, der ruft nicht mehr an und kümmert sich um gar nichts. Das hast du nicht von uns, dieses Desinteresse.«
»Unsere ganze Verwandtschaft ist ein Haufen wehleidiger Stänkerer«, sagte Rabenhorst. »Keiner von denen würde je auf die Idee kommen, mich mal anzurufen.«
»Du bist schließlich der Jüngere«, erwiderte seine Mutter schlau.
»Gott sei’s getrommelt. Im Übrigen, da ich dich gerade an der Strippe habe – es kommt nicht gut, wenn du im Revier aufkreuzt und die Leute verrückt machst.«
»Ich weiß gar nicht, was du willst«, entrüstete sich seine Mutter. »Der nette Herr Haas meinte, es wäre ganz alleine mir zu verdanken gewesen, dass die komische Frau auf dem Bett was gesagt hat. Hast du dich übrigens schon für das Polohemd bedankt?«
»Danke.«
»Schön, nicht? Sieh mal, und das hat nur … na, ich will’s nicht verraten. Es muss nicht alles teuer sein.«
»Gewiss, Mama. Du kaufst mir ein Polohemd. Du machst mich im Revier unmöglich. Alle zeigen mit dem Finger auf mich und gratulieren mir zu einer so patenten Mutter, dass ein halbes Streifenkommando erforderlich war, um sie rauszuwerfen. Würdest du eventuell die Güte haben, wirklich was für mich zu tun?«
Es entstand eine Pause, in der Frau Rabenhorst eins und eins zu drei addierte. »Wie viel brauchst du?«, fragte sie gefasst.
Rabenhorst verdrehte die Augen, aber er schaffte es, seiner Stimme so etwas wie Liebenswürdigkeit abzuringen.
»Ich brauche deinen Rat, Mama.«
»Meinen Rat? Gott der Gerechte! Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Was kann ich dir raten, mein Sohn?«
»Du kannst mir sagen, wie man einen Sauerbraten macht.«
Am anderen Ende der Leitung entstand ratloses Schweigen. Dann sagte seine Mutter mit veränderter Stimme: »Du solltest deine alte Dame nicht für blöd verscheißern, mein Sohn. Wozu brauchst du das Rezept?«
»Ich brauche es, um einem Großmaul zu beweisen, dass es wenigstens eine Sache in der Welt gibt, die ich besser kann als er!«, schrie Rabenhorst.
»Warum sagst du das nicht gleich?«, säuselte seine Mutter. »Hol dir was zu schreiben.«
Das feine Gehör von Eleonore Schmitz registrierte die Ankunft eines Wagens. Sie ließ den Abwasch stehen und knuffte ihren Mann in die Seite, der am Küchentisch eingedöst war.
»Geh doch aufmachen«, raunte sie.
Schmitz schreckte hoch.
»Was? Schon?«
»Es ist Viertel nach zehn, da fragst du? Gerade ist ein Taxi vorgefahren. Wofür bezahlt man dich? Ein Butler willst du sein? Los, troll dich!«
Schmitz rückte folgsam sein Gebiss zurecht und schlurfte in die Halle. Er schaffte es eben noch, rechtzeitig die Tür zu öffnen.
»Herr von Barneck. Wie war der Abend?«
»Ein Desaster! Da wird um Punkt acht Uhr ein Konzert gegeben, und sie reißen die Karten ab, als hätten sie bis in alle Ewigkeit Zeit. Ich weiß beim besten Willen nicht, warum man sich das antut!«
Schmitz nahm den Entenschirm in Empfang. »Sehr bedauerlich«, beeilte er sich, seine Anteilnahme auszudrücken. »Haben sie wenigstens an den Paukenschlag gedacht?«
»Das war das Mindeste. Ein schlechtes Orchester, lustlos wie alte Weiber, und ein Dirigent zum Notschlachten. Schmitz, ich habe noch zu tun. Werde den Apparat in die Halle umstellen, bitte verbinden Sie nur weiter, wenn es wirklich dringend ist.«
»Natürlich. Sie sind im ersten Stock?«
»Ja, im Arbeitszimmer.«
Schmitz ging den Schirm verstauen.
»Wie bitte? Lebkuchen?«
»Es gibt zwei Philosophien des Sauerbratenmachens, mein lieber Junge. Eine mit und eine ohne Lebkuchen. Das ist die ganze Wahrheit.«
»Wo soll ich im Sommer Lebkuchen herbekommen?«
»Stell halt eine Untersuchung an.«
»Ich weiß nicht, wo ich da beginnen
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