Mordshunger
an ihnen vorbei. Vorne stritt sich Ulli mit dem Mann vom Mischpult. Cüpper straffte sich. Marion war weiter weg als je zuvor.
»Meine Mutter hinterlässt mir gar nichts«, sagte sie kühl.
»Kein Testament?«
»Nein. Inka hat keins gemacht. Wahrscheinlich ist sie nicht davon ausgegangen, irgendwann sterben zu müssen wie andere Menschen auch.«
»Oder Katzen«, entfuhr es Cüpper.
Sie funkelte ihn zornig an. »Oder Katzen! Gibt es da irgendeinen Unterschied? Ich kann ihr nicht mal einen Vorwurf machen. Meine Mutter hat mich nicht geboren, sie hat mich geworfen. Als ich auf zwei Beinen stehen konnte, verlor sie das Interesse.«
»Kümmert Fritz sich wenigstens um Sie?«
»Fritz?«, prustete sie. »Hat der sich jemals um was anderes gekümmert als um seine Geschäfte?«
»Er ist Ihr Stiefvater!«
»Na und? Ich hab ihn mal bewundert. Was hätte dieses Arschloch für ein Vater sein können! Aber Fritz hatte zu viel damit zu tun, Geld zu scheffeln, um sich loskaufen zu können.«
»Fritz hat keinen Grund, sich loszukaufen. Er ist reich genug.«
Marions Augen weiteten sich, dann brach sie in Gelächter aus. »Hat er Ihnen das erzählt?«
»Er … nein.«
Sie setzte ihm den Zeigefinger auf die Brust. »Fritz hat überhaupt nichts, Kommissärchen. Gar nichts. Er war ein armer Schlucker aus kleinen Verhältnissen, als er Inka kennen lernte. Alles gehörte ihr. Und er wird alles erben. Wenn es jemanden gibt, der von Inkas Tod profitiert, dann ganz bestimmt nicht ich.«
»Augenblick mal«, rief Cüpper verblüfft. »Soll das heißen, Fritz ist kein reicher Mann?«
»Jetzt ist er einer«, sagte sie gedehnt.
»Marion …« Er schnappte nach Luft. »Wissen Sie, was Sie mir da erzählen?«
»Hätte sie sich von ihm scheiden lassen«, rief sie zornig, »wäre Fritz auf den Arsch gefallen. Und da kommen Sie und fragen mich, ob ich Inka ermordet habe!«
»Verdammt!« Er fühlte Wut in sich hochsteigen. »Wollen Sie ihn ans Messer liefern?«
»Was erwarten Sie denn?«
»Er ist Ihr …«
»Ist er nicht. Sie scheinheiliger Sack! Als ob Sie ihn nicht selbst verdächtigen! Moralisieren Sie mir keinen vor von wegen Vater und Familie. Sie wollen doch bloß jemanden einlochen und dann Ihre Ruhe haben.«
»Ich will die Wahrheit.«
»Ja, Sie wollen! Und was tun Sie dann mit Ihrer Wahrheit? Legen sie zu den Akten. Klasse!«
»Das ist nichts Persönliches. Ich meine …«
»Eben. Das ist nichts Persönliches.« Ihre Augen blitzten. Ehe Cüpper noch etwas sagen konnte, war sie zwischen den Umstehenden verschwunden und zur Bühne gelaufen.
Mit einem Mal kam er sich furchtbar töricht vor.
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging nach draußen.
Der Abend
»Ihr Mantel«, sagte Schmitz.
»Danke. Ich brauche keinen Mantel.« Von Barneck sah ungeduldig auf die Uhr. »Wo bleibt denn das Taxi, Himmeldonnerwetter?«
»Den Schirm vielleicht? Es regnet wieder.«
»Ja, es regnet, regnet, regnet. Wenn schon.«
»Ich habe die Symphonie mit dem Paukenschlag gehört, als ich ein kleiner Bub war«, bemerkte Schmitz und holte einen Schirm.
»So? Muss ja ewig her sein.«
»Etwa siebzig Jahre. Ich bin dabei eingeschlafen.«
Von Barneck lachte. »Das war der Grund, warum der alte Haydn die Pauke eingebaut hat. Das Werk ist von zwei unumstößlichen Regeln geprägt, lieber Freund. Erstens, Höflinge und Majestäten verstehen nichts von Musik. Zweitens, sei dein Geld wert.«
»Das ist heute kaum anders, nicht wahr?« Schmitz hatte einen Schirm mit Entenkopf ausgesucht. Von Barneck nahm ihn und sah der Ente in die gläsernen Augen.
»Ja«, sagte er, mehr zu sich. »Das ist heute ganz genau dasselbe.«
Das Taxi kam.
Marion Ried saß hinter der Bühne und lauschte den schwerblütigen, harten Klängen der Band.
Sie schloss die Augen und dachte an Cüpper in seinem schwarzen Anzug und dem förmlichen weißen Hemd, die Krawatte korrekt gebunden, das dunkle Haar gescheitelt wie mit dem Lineal gezogen. An die schroffe Ruhe, die er ausstrahlte, und das Chaos hinter der kontrollierten Fassade. Sie konnte es wittern wie etwas Lebendiges. Auf gewisse Weise war Cüpper wie sie.
Nur, dass er sie verdächtigte, ihre Mutter umgebracht zu haben.
Hatte sie das?
War es ein Unterschied, jemanden in Gedanken umzubringen oder es tatsächlich zu tun? Natürlich hatte sie ihre Mutter umgebracht. Sie hätte die ganze Welt umbringen können. Einschließlich ihres übergeschnappten Freundes.
Und Gopper? Der alte Gopper, der sich so rührend um sie
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