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Mordsidyll

Mordsidyll

Titel: Mordsidyll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Zandecki
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beförderte. Anna und Tim lauschten schweigend. Die Sonne versank allmählich hinter den Wipfeln der Nadelbäume und tauchte die Schleierwolken hoch am Himmel in ein zartes Rosa. Hinter dem Hügel konnte man in der Dämmerung einige Häuser Ratemickes und den Zwiebelturm der Kirche mit der großen, goldenen Turmuhr ausmachen. Bald würde die Kirche durch Außenstrahler erleuchtet werden, dann war der Anblick des kleinen Dorfes besonders schön. Alles sah nach Postkartenidylle aus. Nie würde jemand vermuten, welch verwickelte Verbrechen sich gerade in diesem friedlichen Tal abspielten.
    Â»Bewirtschaften Sie, äh, ich meine, bewirtschaftest du den ganzen Hof allein?«, durchbrach Tim das Schweigen.
    Â»Ja. Das habe ich dir zu verdanken.« Unmittelbar nachdem Anna die spitze Bemerkung geäußert hatte, bereute sie es. »Tut mir leid. Es ist nur so   … Ich bin einfach noch nicht darüber hinweg, verstehst du? Noch nicht   … Auch wenn du mir hilfst, wofür ich dir dankbar bin. Ich weiß nicht, ob du das nachvollziehen kannst.«
    Ohne eine Reaktion abzuwarten, wandte sich Anna zur Pumpe und schaltete sie aus. Der Anhänger war randvoll mit Gülle. Während sie die Verbindung des armdicken Schlauchs von der Pumpe löste, schielte sie zu Tim hinüber. Er blickte sie Hilfe suchend an. Offensichtlich wollte er etwas erwidern, doch er kam nicht mehr dazu. Zwei schemenhafte Gestalten bogen um die hintere Ecke des Kuhstalls. Anna hob die Augenbrauen und bedeute Tim stumm, sich umzudrehen. Sie merkte sofort, dass mit den beiden etwas nicht stimmte. Ihre Art, zu gehen, wirkte bedrohlich. Anna kniff die Augen zusammen und erkannte, dass beide eine Waffe in der Hand hielten.
    Â»Ich glaube, ich schlafe doch nicht im Bauernhaus«, flüsterte Tim. »Wir müssen weg. Wir müssen beide schleunigst weg.«

    *

    Â»Darf’s noch eins sein, Ben?«, fragte die Kellnerin seiner Stammkneipe, als sie Rustes leeres Bierglas vom Tresen nahm.
    Dankbar blickte er sie an. Er wandte sich schnell von dem Betrunkenen ab, der ihm lallend seine tief schürfenden Erkenntnisse über die Schlechtigkeit der Welt erklären wollte. »Ja sicher, noch ein Krombacher.« Ruste nickte der Kellnerin zu und zündete sich eine Zigarette an.
    Im Raucherbereich des Gasthofs am Olper Marktplatz drängten sich die Menschen der Stadt, um bei einem Bier den Feierabend ausklingen zu lassen. Wenn sich der Freundeskreis der Schützenbruderschaft jeden Monat in dieser Kneipe traf, setzte sich Ruste in den Pinkelpausen gelegentlich ab, um sein Nikotinpegel zu stabilisieren. Als einziger Raucher der Gruppe hatte er klaglos akzeptiert, dass die Besprechungen in der rauchfreien Zone des Gasthofs abgehalten wurden. An diesem Abend war er jedoch zu früh aufgetaucht und nutzte die Zeit, während er auf Ebbing und die anderen Schützenbrüder wartete, um ausgiebig zu rauchen.
    Ruste ließ seinen Blick durch die gut gefüllte Kneipe schweifen. Unter den vielen fremden Gesichtern erkannte er eine Frau, mit der er zwei Jahre nach seiner Scheidung einen Tanzkurs besucht hatte, und schaute schnell weg. Er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern, nur daran, dass er ihr oft auf die Füßen getreten war. Während er in der Tanzschule nur Ausschau nach Frauen hatte halten wollen, war jene Dame vom Ehrgeiz getrieben gewesen, in den Kursen voranzukommen. Ruste hatte den Anfängerkurs noch zwei weitere Male belegt, jeweils mit einer neuen Partnerin. Doch er war keinen Schritt weitergekommen – weder beim Tanzen noch mit den Rendezvous. Auch der Plan, in einer gemischten Jogginggruppe jemanden kennenzulernen, war klaglos gescheitert. Mit seiner Raucherlunge war er weit abgeschlagen hinterhergehechelt. Und welche sportliche Frau würde eine Einladung zum Abendessen von einem Mann annehmen, der wie ein Greis nach Luft japste und vor Schweiß triefte?
    Ruste war noch immer in Gedanken an seine kläglichen Annäherungsversuche versunken, als ihm jemand von hinten auf die Schulter klopfte. Fast hätte Ruste vor Schreck sein Bierglas fallen lassen. Als er sich missmutig umdrehte, lächelte ihn sein Schützenbruder Ronald Weber entschuldigend an.
    Â»Guten Abend, Ronald«, grummelte Ruste. Er spülte seinen Ärger mit Bier hinunter und gab der Bedienung einen Wink, dass sie noch zwei weitere Pils zapfen sollte. Eigentlich war ihm Weber ganz

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