Mordsidyll
hintergangen! Und ich kann es nicht fassen, dass du mich diesem Boxergesicht ausgeliefert hast! Er hat mich angegriffen!«
»Nein, so war es nicht. So glaub mir doch. Ich liebe dich, Anna. Alles sollte ohne Gewalt über die Bühne gehen. Warum hast du auch überhaupt auf diesen Russen eingestochen? Du hast alles vermasselt!«
Sie traute ihren Ohren nicht. »Es reicht! Ich gehe jetzt zur Polizei. So geht es nicht weiter mit uns. Verstehst du, es ist alles aus.« Sie wandte sich energisch ab und folgte wieder dem Weg auf der Staumauer.
Ronald lief mit schnellen Schritten hinter ihr her. »Ist das dein letztes Wort?«, rief er.
»Ja.«
Plötzlich packte Ronald Anna von hinten, schleuderte sie herum und drückte sie mit beiden Armen gegen das Geländer der Staumauer. »Anna, ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt und du hast mich all die Jahre nur ausgenutzt. Du kannst jetzt nicht einfach gehen. Du kannst nicht einfach alles kaputt machen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder du beginnst mit mir ein neues Leben oder â¦Â«
»Oder was?«, frage Anna mit brüchiger Stimme. »Lass mich los, Ronald! Lass mich sofort los! Oder willst du mich auch noch umbringen?«
»Nicht dich, uns beide.«
»Das ist krank!«
Ronald drückte Annas Oberkörper fester gegen das Stahlgelände. Doch er unterschätzte ihre Kräfte. Sie schlug ihn. Sie trat ihn. Sie schrie gellend um Hilfe. SchlieÃlich biss sie Ronald mit aller Kraft in den Unterarm. Für einen kurzen Augenblick war Ronald irritiert. Anna spürte, wie sich sein Griff lockerte.
Sie befreite sich mit den Armen, griff nach Ronalds Hemd und presste ihn mit aller Kraft gegen das gegenüberliegende Geländer. Ronald fand auf dem rutschigen Boden keinen Halt und versuchte vergebens, mit hektischen Bewegungen seinen Sturz aufzuhalten. Mit der Hüfte schlug er gegen das Geländer und verlor schlieÃlich das Gleichgewicht. Sein Oberkörper kippte über die stählerne Brüstung. Erstaunt blickte er Anna an, dann fiel er hinten über und klatschte direkt in das hochstehende Wasser des Staubeckens. Die starke Strömung zog ihn in eine der Ãberlauföffnungen. Er versuchte verzweifelt, sich an dem Betonrand festzuhalten. Dann wurde sein Körper von den Wassermassen mitgerissen.
*
Viktor traute seinen Augen nicht. Diese Bäuerin, die Boris niedergestochen hatte, hatte nun auch Weber über das Geländer in den Stausee geschubst! Zwar konnte er von seinem Versteck aus, zwischen all den Ãsten, nur schemenhafte Gestalten erkennen, aber es war eindeutig: Nach dem Handgemenge blieb die kleine Person allein zurück.
Viktor ging tiefer hinter dem Busch in Deckung und fixierte diese Lobbisch, die wie angewurzelt auf der Staumauer stand. Er war darin geübt, Menschen unauffällig zu beschatten; Weber war er den kompletten Tag über unbemerkt gefolgt. Nachdem Roman ihm das Kennzeichen des Wagens vor der Kneipe in Ratemicke durchgegeben hatte, hatte er einen Verwandten beim StraÃenverkehrsamt um einen Freundschaftsdienst gebeten. Im Handumdrehen hatte er den gewünschten Namen und die Adresse erhalten. Der Rest war ein Kinderspiel. Er behielt das Haus von Weber im Auge und verfolgte in sicherem Abstand den protzigen Geländewagen, als Weber früh morgens aufbrach. Den ganzen Tag heftete er sich an seine Fersen, doch Weber schien zunächst nur ziellos durch die Gegend zu fahren.
SchlieÃlich steuerte er seinen Wagen zur Listertalsperre und verschwand in einer riesigen Blockhütte. Als er eine Weile lang nicht zurückkam, schlich sich Viktor an eines der Fenster heran und beobachtete, wie Weber sich mit einer Frau und einem jungen Kerl aufgeregt unterhielt. Das mussten die beiden sein, die Roman und Alexej in der vorigen Nacht verfolgt hatten! Obwohl sie kein Kopftuch trug, erkannte Viktor die Frau aus den Regionalnachrichten. Anna Lobbisch stand zum Greifen nahe vor ihm! Der reiche Sack hatte ihn zu seinem Ziel geführt.
Viktor schlich ein paar Schritte zurück, um im Schutz der Dunkelheit zu überlegen, wie er die Bäuerin entführen könnte, als plötzlich in der Hütte das Licht ausging. Bevor er einen Plan aushecken konnte, wie er mit den neuen Gegebenheiten umgehen würde, stürmten Weber und die Lobbisch aus dem Haus und jagten im Rückwärtsgang den Weg zur LandstraÃe hinunter. Als der Mercedes aus dem Blickfeld
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