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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Schley
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Kindheit eine heftige Abneigung gegen sämtliche Kohlsorten hegte, ob nun gekocht oder als Rohkost, hielt unwillkürlich den Atem an, während sie die zwei Treppen zur Wohnung der Valendieks hinauf stürmte.
    Auf keinen Fall wollte sie öfter einatmen als unbedingt notwendig. Erstaunlicherweise schaffte sie es mit zwei Atemzügen fast bis vor die Wohnungstür, in der der alte Valendiek breitbeinig stand, die Hände in den Hosentaschen vergraben, das Zement graue, fettige Haar tief in der Stirn.
    „Was wollen Sie?“, blaffte er Annelie schon von weitem an. „Wir haben kein Interesse an Besuchen. Wir…“
    „Ich komme nicht zu Besuch, Herr Valendiek“, unterbrach Annelie ihn noch etwas atemlos, aber freundlich. „Ich muss mit Tim sprechen.“
    „Dauernd will den irgendjemand sprechen“, regte Valendiek sich noch mehr auf und brüllte über die rechte Schulter hinweg ins Wohnungsinnere: „Vale, hier ist eine Dame. – Wollen Sie ´rein kommen?“
    Das galt nun wieder Annelie, die mit der Antwort zögerte, denn als sie vorsichtig über Valendieks andere Schulter hinweg in die Wohnung spähte, überkam sie Unbehagen. Was sie sah, war nicht viel, doch ihr genügte es:
    Zwei kleinere Kinder saßen im engen Flur und bewarfen sich plärrend gegenseitig mit Gegenständen, die Annelie nicht erkannte. Am Ende des Flures stand eine Tür weit offen, so dass man mühelos „Take That“ kreischen hören konnte. Kreischen deshalb, weil die Lautstärke die Stimmen über alle Erträglichkeit hinaus verzerrte.
    Take That? fragte Annelie sich gleichzeitig überrascht. Waren die nicht längst out? Oder sogar tot? Und längst gänzlich andere Boy-Groups angesagt? Wer hatte da in der Familie Valendiek die allerneueste Entwicklung im Musikgeschäft verpasst?
    Das sollte sie schon im nächsten Moment erfahren, denn aus einem anderen Zimmer kam ein etwa elfjähriges Mädchen, dessen Magerkeit und Blässe einen unvorbereiteten Menschen bis ins Mark erschrecken musste. Das Mädchen hatte sich ein Frotteehandtuch wie einen Turban um den Kopf gewickelt und rief mit weinerlicher, anklagender Stimme: „Mama? Das heiße Wasser ist aus!“
    Immerhin schien sich ein Mitglied dieser Familie zumindest hin und wieder die Haare zu waschen…
    Da kam Tim.
    Der Junge sah nicht gut aus, stellte Annelie mit einem Blick fest. Nein, gar nicht gut. Sie wusste, dass mehrere Verhöre durch die Polizei hinter ihm lagen. Er war immer noch, sechs Tage nach dem Zwischenfall im Stadtpark, das beherrschende Thema in der regionalen Presse, wenn auch nicht mehr mit riesigen Schlagzeilen. Nein, man klagte ihn nicht wegen Mordes an, denn inzwischen war sicher, dass Tim den jungen Türken, über den er im Park gestolpert war, nicht umgebracht hatte.
    Er hatte an dem Abend das Fahrrad des Bürgermeisters gestohlen und – auf der Flucht damit - die letzten Atemzüge des beklagenswerten Opfers miterlebt. Allerdings waren fast alle Spuren, die für die Kripo von Nutzen hätten sein können, vernichtet, weil Tim wie ein Elefant am Tatort herum getrampelt und sich dort obendrein auch noch erbrochen hatte.
    Er durfte die Stadt nicht verlassen, wusste Annelie inzwischen von Rosie. Er hatte sich zur Verfügung der Polizei zu halten. Genau das schien er wohl zu tun, wenn es ihn zweifellos auch nicht begeisterte.
    „Können wir irgendwo alleine reden?“, fragte sie, weil es sie nicht reizte, auch nur einen Fuß in die Wohnung der Valendieks zu setzen, wo aus dem Hintergrund erneut die weinerliche Stimme von Tims kleiner Schwester kam: „Mama, das heiße Wasser ist aus…“
    Tim nickte düster irgendwohin. „Gehen wir da ´rüber“, meinte er, während er die Wohnungstür hinter sich schloss.
    Gemeinsam standen sie dann einem der Fenster im Treppenhaus. Ein besonders heimeliger Ort war auch das nicht, stellte Annelie sogleich fest, denn hier war sie der mit Kohlgeruch geschwängerten Treppenhausatmosphäre vollends ausgeliefert. Der Blick nach draußen eignete sich ebenfalls nicht, den Betrachter aufzuheitern, denn unten lag nur ein trostloser Kinderspielplatz, dessen Geräte – eine Schaukel, eine Rutsche und eine Sandkiste – in unnachahmlicher Tristesse vor sich hin rosteten.
    Was für ein Leben, dachte Annelie. Dann besann sie sich und wandte sich Tim zu. „Wie geht es dir?“
    Der Junge blaffte sie an: „Blöde Frage! Wie wohl? Schlecht natürlich. Ich bin kein Mörder. Ich hab´ den Türken nicht umgebracht.“
    „Das weiß ich ja, Vale“, besänftigte

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