Mordskerle (German Edition)
zusammen. Immer wieder dieses Lächeln, dachte sie wütend. Wenn Annelie so lächelte – ein wenig belustigt, etwas herablassend und sehr, sehr nachsichtig – dann fühlte ihre Tochter sich sofort wie ein Kind, das versuchte, seinen Willen durch zu setzen und das man dafür einen kleinen Trotzkopf nannte. Es war albern, aber Lena ärgerte sich jedes Mal wieder über dieses Lächeln, weil Annelie sie damit provozierte, und sie hätte wetten können, dass genau das ihre Absicht war.
„Ich w e i ß“, erklärte sie dann auch gereizt. „Das Haus ist leer. Bis auf…“
Sie hielt inne. Eigentlich hatte sie sagen wollen: Mutter, als ich in Breidbachs Villa war, waren dort zwei Männer, die dachten, ich sei Breidbachs Ehefrau und mich fest hielten und anschließend in eine düstere Küche einsperrten, sodass ich durch eine Hintertür fliehen musste…
Jawohl, sie war gerannt wie in ihrem ganzen Leben noch nicht. Sie hatte sogar am ganzen Körper gezittert, auch dann noch, als sie längst wieder im Auto saß und davon brauste.
Doch das alles sagte sie nicht. Sie sah ihre Mutter schweigend an, während sie gleichzeitig die verblichene Karte in ihrer Jackentasche ganz fest hielt.
Indes bot Annelie einmal mehr den Anblick eines Menschen, der sich mit der Welt restlos im Einklang befand. Die einzige Sorge, die sie möglicherweise plagte, war die um die Zukunft ihrer hässlichen, ungelenken Tochter, deren Existenz ihr nach so vielen Jahren immer noch rätselhaft vorzukommen schien.
Was sonst hätte Annelies Seelenfrieden auch stören sollen? Die Klüver-Firmengruppe bereitete ihr kein Kopfzerbrechen, denn da lief alles wie immer. Veränderungen, umwälzende Entscheidungen waren nicht vorgesehen.
Sich selbst bei diesen Gedanken ertappend, spürte Lena Bitterkeit, ja, fast schon Resignation in sich erwachen. „Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich vorhin etwas ganz Unglaubliches erlebt habe?“
Annelie hob eine Augenbraue. Niemand konnte das so wie sie. Es ließ sie grenzenlos herablassend und besserwisserisch aussehen. „Ich würde es nicht glauben“, meinte sie schließlich.
„Mutter, ich befand mich in der Gewalt von Gangstern!“
„Ach was?“ machte Annelie gleichgültig. „Dann solltest du zur Polizei gehen und Anzeige erstatten.“
„Ich wusste, dass du das sagen würdest“, erwiderte Lena.
Sie zog die Ansichtskarte aus ihrer Jackentasche. Das Bild auf der Vorderseite war vergilbt, die Farben, vorher grell bunt, verschwammen ineinander. Zu erkennen waren ein Strand mit flachem Hinterland und ein Stück Nordsee. Das konnte überall an der Westküste sein, begriff Lena.
In ihr Schweigen hinein tadelte jetzt Annelie: „Es war unsinnig, zur Schönen Aussicht zu fahren. Breidbach trifft man kaum noch in seiner Villa an. Er hat sich irgendwo an der Nordsee verkrochen. Ich weiß nicht, wo,
aber ich hab´ mal so was gehört von jemand, der es wissen muss.“
„Das krieg´ ich ´raus“, murmelte Lena. „Ganz bestimmt krieg´ ich das ´raus. Aber ich muss vorher noch nach Harvestehude.“
„Harvestehude?“ Annelie reagierte konsterniert. „Warum, um alles in der Welt, und zu wem dort?“
Lena las die Adresse von der Ansichtskarte ab: „In der Hansastraße in Harvestehude wohnt eine Gertrud Hauser. Mit der muss ich reden.“
Vielleicht hätte Annelie nicht aufgehört, zu insistieren und ihrer Tochter weitere Fragen gestellt, wenn nicht eines ihrer zahlreichen Telefone, die sie auch in ihrem Haus in Hamburg wie zufällig überall verteilt hatte, vornehm zurückhaltend gesummt hätte.
Lena reichte den Apparat an ihre Mutter weiter, wusste sie doch, dass Telefonieren eine ihrer großen Leidenschaften war. So meldete Annelie sich auch ohne zu zögern mit einem affektierten „Hallo-o?“ und lauschte dann erst einmal. Das war befremdlich, denn danach sprach Annelie minutenlang nicht. Schließlich sagte sie mit veränderter Stimme:
„Ich komme, Sylvia. Natürlich komme ich.“
Sie legte das Telefon beiseite und schaute einen Moment lang an Lena vorbei aus dem Fenster.
„Sylvia Herzig“, erklärte sie schließlich. „Eigentlich kann ich sie nicht leiden. Vielleicht gefiel mir die Art nicht, in der sie sich immer wie eine Klette an Sofie Beer hing. Aber jetzt will Sylvia mich sehen. Sie braucht meine Unterstützung, sagt sie. Wegen Sofie.“
Ihr Blick kehrte zu Lena zurück, und ihre Stimme klang erstaunt, als sie feststellte: „Da ist etwas im Busche, Lena. Warum sonst sollte
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