Mordskerle (German Edition)
die kleine Frau mit einem kurzen, rauen Lachen.
Lena spürte plötzlich eine prickelnde Ungeduld in sich aufsteigen. „Frau Hauser, wenn Sie mir Breidbachs Ferienort an der Nordsee sagen würden, könnte ich mich gleich morgen an ihn wenden und ihn um dringende Hilfe in einer ziemlich prekären Sache zu bitten.“
Gertrud Hauser verschlang ihre mageren Hände nervös ineinander. „Genaues weiß ich auch nicht“, gab sie zögernd zu. „Und ich musste ihm schwören, nichts darüber zu sagen. Da ist der Mann ziemlich eigen, müssen Sie wissen.“
„Ja, ja, Männer können manchmal Mimosen sein“, pflichtete Lena ihr geduldig bei, während sie innerlich mit ihrem Wunsch nach handfesten Aussagen über Max Breibach fast umkam.
Die kleine Frau beugte sich zu ihr, um sich mit vorsichtigem Blick nach links und rechts umzusehen und erst dann zu flüstern: „Suchen Sie ihn an der Grenze.“
„An welcher Grenze?“
„Pssst!“ Die Hauser funkelte sie böse an. „Nicht so laut! Ich sag´s nur Ihnen und Sie versprechen mir hoch und heilig, dass Sie es niemand verraten!“
„Mein Ehrenwort.“
„Er hat an der Grenze zu Dänemark ein Haus“, wisperte die alte Frau. „Mehr weiß ich aber auch nicht.“
Dann brach sie abrupt ab. Unten war eine Tür geöffnet worden. Unwillkürlich hielt auch Lena den Atem an und lauschte. Stimmen waren zu hören, Männerstimmen, von denen eine sehr tief war. So tief, wie sie sie vor kurzem erst gehört hatte.
Ihr Herz begann in Panik schneller zu schlagen. „Oh Gott…“
Gertrud Hauser schien auf der Türschwelle erstarrt zu sein. Sie wisperte nur noch: „Die kenn´ ich schon. Die tauchen dauernd in der letzten Zeit hier auf. Aber für die bin ich nicht zu Hause.“
Sprach´s und verschwand in ihrer Wohnung, sodass Lena nur noch hören konnte, wie von innen die Tür verschlossen und mehrere Riegel vorgeschoben wurden.
Lenas Gedanken überschlugen sich. Da stand sie hilflos im düsteren Treppenhaus, ohne irgendwo ein Versteck entdecken zu können. Währenddessen kamen die beiden Männer langsam, jedoch stetig die Treppe herauf.
Nun blieb Lena nichts weiter als die Flucht nach vorne, oder besser gesagt, nach oben, nämlich die Treppe noch weiter hinauf. Auf Zehenspitzen schlich sie über die knackenden Stufen ins obere Stockwerk, und jedes Geräusch, das die Treppenstufen unter ihren Schritten machten, ließ sie innerlich aufstöhnen.
Oben angekommen, traf sie die Erkenntnis, dass sie gewissermaßen in einer Sackgasse gelandet war, fast wie ein Schlag. Hier war der Wäscheboden, den es in den alten Mietshäusern immer noch gab. Zitternd drückte Lena sich in den Schatten einer offen stehenden Lattentür. Irgendwo raschelte etwas, wahrscheinlich gab es hier Mäuse oder sogar Ratten, und alleine dieser Gedanke ließ Lenas Knie weich werden.
Währenddessen standen auf der Treppe unter ihr die Männer, die unermüdlich an Gertrud Hausers Wohnungstür klingelten.
„Allmählich glaub´ ich wirklich, die Alte ist nicht mehr hier“, grollte der mit der tiefen Stimme. „Kann ja sein, dass Breidbach sie mitgenommen hat. Oder sie liegt tot in ihrer Wohnung.“
„Möglich wär´s“, meinte der andere.
Nach einigen Minuten des Wartens machten sie kehrt und schritten wieder die Treppe hinab zum Erdgeschoss. Lena ließ sich Zeit. Sie machte nicht den Fehler, in ihrer Erleichterung auf die Straße hinaus zu stürzen, um dort in den Armen ihrer Widersacher zu landen. Erst, als sie sicher war, dass keine Gefahr mehr drohte, schlich sie die Stufen hinunter. Und wieder begegnete ihr die magere Katze, die sie böse anfauchte.
Draußen auf dem Bürgersteig erlaubte Lena sich schließlich ein erleichtertes Aufatmen. Dann allerdings hatte sie es eilig, rannte zu ihrem Auto, und als sie, während sie den Motor startete, noch einmal zu den dunklen Fenstern hinauf schaute, glaubte sie, ganz oben Gertrud Hauser hinter der Gardine stehen zu sehen.
Sie saß in einem Stuhl am Fenster.
Seit sie sich dort hin gesetzt hatte, hielt sie ihre Augen geschlossen. Wenn Anrufe für sie kamen oder Besucher sich nach ihrem Befinden erkundigen wollten, sagten ihre Töchter: Mutter ist sehr müde. Sie schläft jetzt immer viel.
Da schien es manchmal so, als ob sie lächelte. Es war ein nach innen gerichtetes Lächeln, für niemand sonst bestimmt, nur für sie. Sie hörte alles, was die anderen sagten, sie verstand, was um sie herum geschah, aber sie mochte nichts dazu sagen und auch ihre Augen nicht
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