Mordskerle (German Edition)
zwar mühsam, aber erfolgreich „…eebüll“ entzifferte.
Lena saß minutenlang ganz still in ihrem Auto, hielt die Augen geschlossen und dachte nach. Schließlich begann sie eine Landkarte von Schleswig-Holsteins Norden heraus zu suchen, die sie auf ihrem Schoß ausbreitete, um mit dem Zeigefinger sämtliche Orte an der Grenze entlang zu fahren, die auf „-büll“ endeten.
Und so stieß sie endlich auf „Seebüll“.
Sekundenlang hielt sie den Atem an, spürte, wie ihr Puls schneller wurde. Dann atmete sie einmal tief durch, legte die Landkarte neben sich auf den Beifahrersitz und kehrte mit ihrem Porsche auf die Straße zurück, die sie nach einer knappen halben Stunde direkt nach Seebüll führte.
Als Erstes hielt Lena Ausschau nach einem Gasthof, den sie wenig später schon in einem kleinen Dorf entdeckte, das links und rechts von der Straße lag. Lena parkte ihr Auto und betrat das Haus zielstrebig und zu allem entschlossen..
Die niedrige Gaststube war leer. Lena musste sich erst einige Male räuspern, ehe sie bemerkt wurde. Der Wirt, ein großer, kahlköpfiger Nordfriese, kam aus einem der hinteren Räume. Noch ehe er seinen Gruß an Lena halbwegs formuliert hatte, unterbrach sie ihn bereits.
„Ich bin auf der Suche nach einem Max Breidbach“, erklärte sie rasch. „Kennen Sie ihn vielleicht? Er soll hier irgendwo ein Ferienhaus haben und seit einiger Zeit sogar dort wohnen.“
Der Mann dachte nach, machte dann vage Handbewegung. „Breidbach? Kann sein, dass da einer ist, der so heißt.“ Er musterte Lena kritisch. „Sind Sie mit ihm verwandt?“
Einmal gelogen, immer gelogen, dachte Lena, während sie ihre ganze Überzeugung in ein heftiges Kopfnicken legte. „Beinahe. Er ist ein guter Freund – meiner Mutter.“
So etwas klang immer gut. Gute Freunde von seriösen Müttern ließen sich möglicherweise schneller und problemloser finden als alternde Anwälte, die man selbst nie zu Gesicht bekommen hatte.
„Wir suchen ihn in einer Erbschaftsangelegenheit“, fügte sie noch hinzu, um dem Wirt nicht zuviel Zeit zum Nachdenken zu lassen.
Der musterte sie nachdenklich. „Kann sein, dass es der ist, der außerhalb des Dorfes in so einer komischen Hütte wohnt.“
„Und wo ist das?“ Lena konnte ihre Ungeduld kaum noch zügeln.
„Fahren Sie mal hundert Meter aus dem Dorf ´raus, da biegt ein Feldweg nach rechts ab. Das Haus liegt abseits der Straße“, lautete die lakonische Antwort.
„Er ist gesund?“ Lena hatte keine Ahnung, warum sie das fragte.
Der Wirt reagiert dann auch verwundert. „Wieso? Ja, na klar. Jedenfalls vor ein paar Tagen war er es noch. Da hat er da drüben am Fenster gesessen und zwei Bier getrunken.“
Lena murmelte ein eiliges Dankeschön und machte auf dem Absatz kehrt, um zu ihrem Auto zurück zu kehren. Inzwischen war es dunkel geworden. Sie hatte einen ganzen Tag auf der Straße verbracht, jetzt war es Abend, ohne dass sie es bemerkt hatte.
Hinter ihr tauchte der Wirt des Gasthofes noch einmal in der Eingangstür auf und rief ihr etwas hinterher, aber Lena hörte nichts mehr, sondern brauste ein weiteres Mal einfach los, ohne sich umzusehen, mitten durch den schweren Mairegen und auch mitten durch eine zusehends dichter werdende Dunkelheit.
Eigentlich hätten dieses Dunkel, der Regen sowie die fremde Gegend ihr eine Warnung sein müssen, doch Lena wäre nicht Lena gewesen, wenn sie sich durch solche scheinbare Bagatellen hätte bremsen lassen.
Sie brannte darauf, Max Breidbach endlich gegenüber zu stehen und ihm die Grüße ihrer Mutter auszurichten. Hoffentlich erinnerte er sich noch an Annelie, fügte sie besorgt in Gedanken hinzu. In jedem Fall musste sie ihm die Sache mit Tim Valendiek erzählen, denn schließlich wollte sie ihre – anfänglich etwas zweifelhafte Mission – erfolgreich zum Abschluss bringen, um anschließend einer sprachlosen Annelie die Erfolgsmeldung gewissermaßen auf einem silbernen Tablett zu servieren.
Aber Lena vergaß nicht nur alle Vorsicht und Bedenken, sondern auch, dass es irgendwann nicht mehr zählte, was sie wollte. Sie würde die bittere und sehr schmerzhafte Erfahrung machen, dass ab einem bestimmten Augenblick nur noch das bloße Überleben zählte, weil sonst nichts mehr ging.
Je weiter sich die Scheinwerfer ihres Autos durch den Abend fraßen, desto weniger wusste Lena, wo sie sich befand. War hier schon das Ende des Dorfes? War jener Weg, der nacht rechts abzweigte, der, den der Wirt ihr beschrieben
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