Mordskerle (German Edition)
angeregt.“
Sylvia sah sie verdutzt an. „Wie? Ein Vulkanausbruch?“
Annelie hob vage die Schultern. „Eine Eruption, Sylvia. So ein explodierender Vulkan hat viel Ähnlichkeit mit einem…“
„Meinetwegen“, unterbrach Sylvia sie geradezu verbittert. „Wieso konnte Bernhard sich nicht damit begnügen, den Pic de La Selle vom Hotelfenster aus zu bestaunen? Warum musste er am dritten Tag nach ihrer Ankunft in Kenscoff, das eigentlich schon hoch genug liegt mit eintausendfünfhundert Metern, noch fünfhundert Meter höher klettern – die bedauernswerte Sofie immer im Schlepptau hinter sich?“
Auf einmal ahnte Annelie, was sie als Nächstes zu hören bekommen würde. Sie legte ihre Zigarette im Aschenbecher ab und schob ihr Glas beiseite, als sollte nichts mehr den Blickkontakt zwischen ihr und Sylvia stören.
„Was ist passiert?“
Nun begann Sylvia förmlich zu geifern: „Sofie konnte sich natürlich – wie immer! – nicht gegen Bernhard durchsetzen. Er wollte auf den Berg, sie war dagegen, also wurde getan, was er sagte. So lief das doch immer. Und als die beiden oben angekommen waren, begann der Berg sich auf einmal zu bewegen. Dabei weiß jedes Kind auf Haiti, dass dieser Vulkan noch aktiv ist, sagt Inken, aber selbst das konnte ihren Vater nicht davon abhalten, da ´rauf zu steigen.“
„Der Vulkan brach aus?“
„Du sagst es. Es gab eine kurze, aber eindrucksvolle Eruption, der Berg bebte und warf mit Gesteinsbrocken um sich, von denen einer bedauerlicherweise Bernhard traf. Wie ein Arzt später feststellte, war Bernie auf der Stelle tot, während die arme Sofie mit zwei gebrochenen Rippen und ein paar Blutergüssen davon kam. Mein Gott, wie schrecklich muss das alles für sie gewesen sein!“
Zwei Tage später startete Lena am frühen Vormittag bei strahlendem Sonnenschein und wolkenlosem Himmel von Hamburg aus in Richtung Westküste. Es war Ende Mai, aber fast schon Sommer. Lena sang fröhlich mit dem Autoradio um die Wette, während sie die Stadt hinter sich ließ, und verstummte erst, als nach etwa fünfzig Kilometern der Wind auffrischte.
Weitere zwanzig Kilometer später fiel aus einem inzwischen grauen Himmel schwerer Regen, sodass Lena sich gezwungen sah, das Tempo ihres schnellen Wagens zu drosseln. Das kam ihr nicht einmal ungelegen, denn ehrlicherweise musste sie zugeben, dass sie noch immer nicht wusste, wie sie vorgehen sollte, sobald sie die deutsch-dänische Grenze erreicht hatte.
Es erschien ihr plötzlich lächerlich simpel, wie selbstverständlich davon auszugehen, dass sie dort über Hinweise, Anhaltspunkte sowie Indizien, die Auskunft über Breidbachs Aufenthaltsort gaben, alle paar Meter stolpern würde. Breidbach war irgendwo da oben abgetaucht – aber wo? Und warum?
Die deutsch-dänische Grenze war viele Kilometer lang. Wo und wie sollte Lena anfangen, nach Breidbach zu forschen? Urlauber gab es dort in dieser Jahreszeit scharenweise, viele von ihnen wohnten in Ferienhäusern, andere auf Campingplätzen. Dazu bedurfte es nicht einmal einer offiziellen Anmeldung.
Also fuhr Lena zunächst stundenlang ziellos und gleichzeitig ratlos gen Norden. Es regnete ununterbrochen, sodass die Westküste - ohnehin nicht arm an Regen – bereits nach kurzer Zeit darin unter zu gehen drohte.
Unentschlossen bummelte Lena an der Küste entlang, links immer mit Seitenblick auf die Nordsee, rechts das grüne Land. So erreichte sie schließlich Niebüll. Danach hatte sie kein Ziel mehr, weil sie schlichtweg nicht wusste, was sie als Nächstes tun, was ihr nächster Schritt sein sollte.
Ohne die geringste Ahnung zu haben, wie und wo sie Dr. Max Breidbach finden konnte, hielt sie schließlich auf einem Rastplatz und suchte ein weiteres Mal die Postkarte hervor, die Breidbach an seine Haushälterin geschrieben hatte.
Angestrengt starrte sie auf den verwischten, unleserlichen Poststempel. Dann hatte sie eine Idee: Sie öffnete das Handschuhfach, wo sie ein Vergrößerungsglas fand. Warum sie das dort aufbewahrte, hätte sie jetzt nicht sagen können. Möglich, dass sie es irgendwann einmal gebraucht hatte, vielleicht zum Studium von Straßenkarten, die längst durch ein Navigationsgerät ersetzt worden und damit überflüssig waren. Erst jetzt war ihr das Glas tatsächlich wirklich nützlich.
Sie klemmte sich das Vergrößerungsglas in das rechte Auge, was zur Folge hatte, dass sie gar nichts erkannte. Deshalb legte sie es schließlich direkt auf den Poststempel, um auf diese Weise
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