Mordskerle (German Edition)
Wort erwähnt, sondern immer wieder nur von jenem schrecklichen Augenblick geredet, als sie – umgeben von Asche und Steinen, die der wütende Pic de La Selle ausspuckte – begriffen hatte, dass Bernhard tot war. Etwas anderes schien in Sofies Kopf keinen Platz zu haben, während sie sich gleichzeitig mit Selbstvorwürfen quälte, weil sie überzeugt war, nicht genug für seine Rettung getan zu haben.
Ach, die kleine, schmächtige Sofie…
Auf dem Weg zu ihrem Auto fragte Annelie sich erneut resigniert, wie diese Rettung denn hätte aussehen sollen. Sofie konnte doch nicht einmal einen schweren Stuhl einige Meter weit tragen, ganz zu schweigen also vom leblosen Körper eines doppelt so schweren Mannes.
„Annelie?“
Sie hätte wissen müssen, dass ihr Besuch im Hause Beer noch nicht vorüber war. Als sie nun erneut angesprochen wurde, fuhr sie allerdings nicht erschrocken herum, sondern lauschte dieser Stimme erst einmal hinterher und auch jenem Gefühl, das daraufhin in ihr wach wurde.
„Axel…“, stellte sie dann freundlich fest, noch ehe sie sich dem jungen Mann zuwandte. „Was kann ich denn für dich tun?“
Axel Lentz hatte in seiner dunkelblauen amerikanischen Limousine gesessen und auf sie gewartet. Nun stieg er ohne Eile aus, um sich Annelie gegenüber gegen den rechten Kotflügel seines Autos zu lehnen.
„Eigentlich gar nichts“, erwiderte er genauso freundlich. „Diese Familie ist momentan ziemlich durcheinander. Du solltest nicht alles, was du hörst, für bare Münze nehmen. – Aber darüber will ich nicht mit dir reden, sondern…“
Als er innehielt, lächelte Annelie. Es war ein liebevolles, fast mütterliches Lächeln, denn Annelie hatte zu den jungen Männern, mit denen sie von Zeit zu Zeit ihr Bett teilte, ein ganz besonderes Verhältnis. Möglicherweise war sie als Mutter einer Tochter nicht gerade die Idealbesetzung. Ein Sohn hätte sich aber wahrscheinlich über einen Mangel an Zuwendung von ihr nie beklagen können.
„Ich habe nichts gesagt, Axel“, ihre Stimme klang sanft. „Das, was war, geht außer uns beiden niemand was an. Ich hab´s ja auch schon fast vergessen.“
Er wirkte erleichtert. Inken hatte vorhin nicht gewagt, nach Annelies Hand zu greifen. Axel tat es jetzt. Er legte seine Finger zart um Annelies linkes Handgelenk, und sofort erinnerte sie sich, wie sich seine Hände, seine Haut damals angefühlt hatte, und eine kleine Welle von Wehmut durchwehte sie.
„Danke“, murmelte er nur.
Sie wandte sich indes ab, um in ihren Citroen zu steigen und sich nicht mehr nach dem jungen Mann umzuschauen, der immer noch an seinem amerikanischen Wagen lehnte und ihr hinterher sah, bis es nichts mehr zu sehen gab.
Annelie hatte kaum die Schwelle ihres Hauses in Uhlenhorst überschritten, als auch schon ihr Telefon klingelte. Sie war überzeugt, dass das nur Lena sein konnte, die anrief, denn sie wartete dringend auf einen Anruf von ihrer Tochter, hatte die sich doch seit ihrer Abfahrt gen Norden nicht mehr gemeldet.
Doch erstaunlicherweise war es Sylvia Herzig, die, angetrieben von einer unersättlichen Neugier, danach lechzte, jedes Detail über Annelies Besuch bei Sofie zu erfahren.
Annelie hielt sich jedoch bei ihrer Schilderung bedeckt. „Sofie ist noch sehr verstört…“ Sie wusste kaum, wie oft sie das während der zurückliegenden zwei Stunden schon gesagt hatte. „Manches, was sie zurzeit erzählt, darf man nicht auf die Goldwaage legen. Wir sollten ihr Zeit lassen, um sich von dem Schock zu erholen.“
Dieser Antwort reichte Sylvia nicht. Sie hakte nach, bohrte und hoffte wohl, auf diese Weise aus Annelie noch irgendeine Sensation herauspressen zu können. Doch Annelie tat ihr nicht den Gefallen, indem sie mehr sagte, als sie verantworten konnte.
Als Sylvia schließlich, spürbar frustriert, das Gespräch beenden wollte, fiel Annelie etwas ein.
„Sag mal, meine Liebe, hat Sofie eigentlich noch das Ferienhaus an der Ostsee?“
Sie konnte förmlich sehen, wie Sylvia irritiert die Stirn runzelte, ehe sie antwortete: „Ja, aber sie nutzen es schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich ist es nur ein Abschreibungsobjekt. Manchmal bin ich noch an den Wochenenden hin gefahren, aber sonst? Sofie geht lieber zum Rotenbaum, um sich Tennis anzusehen, und Inken und Axel sind keine Ostsee-Fans.“
„Wie war das mit Bernhard?“
„Wieso er dieses Haus gekauft hat, weiß ich nicht“, regte Sylvia sich noch nachträglich auf. „Er verbrachte seine freie Zeit am
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