Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
ich Geld habe, bin ich unabhängiger, ich kann wegziehen, auch ohne eine neue Arbeitsstelle zu haben. Paula hatte sich nie viel aus Geld gemacht, zumindest war sie immer dieser Meinung gewesen, aber jetzt merkte sie, wie die materielle Sicherheit ermutigend auf sie wirkte.
Doris und Paula sprachen kaum über den Fall Schönhaar, wie sie überhaupt brisante Themen mieden. Sie umschlichen sich vorsichtig, wie zwei Raubkatzen, um zu testen, wer die stärkeren Nerven besaß. Wenn sie sich unterhielten, dann über harmlose Dinge, wie die Handwerker in Doris’ Haus, die Theaterproben, Hermann Ullrichs Wahlkampf oder über Simon. Immer wieder über Simon, was er spielte, sagte, machte … Manchmal, dachte Paula, glichen sie einem Elternpaar, das vor Entzücken über ihren Sprößling die Welt um sich herum vergißt.
Nur einmal schnitt Doris das Thema Vito an, als sie hörte, daß Kommissar Jäckle Mitgliedern der Theatergruppe Fragen über ihn gestellt hatte: »Keine Sorge«, sagte Doris, »uns kann nichts geschehen, solange wir zusammenhalten und uns einig sind. Und das sind wir uns doch, oder, Paula?«
»Ja, das sind wir.«
Paula war nicht einmal sehr überrascht, als Doris ihr noch am selben Abend eröffnete, sie spiele mit dem Gedanken, ihr eigenes Haus nach Abschluß der Renovierung zu vermieten und zu ihr zu ziehen. Natürlich nur, wenn Paula und sie sich darüber einig wären. Selbstverständlich würde sie eine angemessene Miete bezahlen. »Auch wenn wir schon fast so etwas wie eine Familie sind – die Finanzen müssen geregelt sein«, meinte sie.
»Ich werde darüber nachdenken«, reagierte Paula gelassen auf diese neue Strategie. Sie hatte bereits Kontakt zu einem Maklerbüro aufgenommen, aber sie konnte momentan noch keine Hausbesichtigungen riskieren.
Paula erzählte niemandem von ihrem neuen Reichtum, schon gar nicht Doris. Es sollte vorerst ihr Geheimnis bleiben. Es gelang ihr, die Post vom Notar abzufangen, ehe Doris den dicken Brief zu sehen bekam. Um so mehr entsetzte es sie, als Siggi nach einer Probe den Arm um sie legte und leise sagte: »Ach übrigens, darf ich gratulieren?«
»Wozu?« fragte Paula verwirrt.
»Ich bitte dich! Zu deiner vorzeitigen Erbschaft natürlich.«
»Ach du Scheiße!«
»Ehrlich, Paula, ich bastle gerade an einem Heiratsantrag herum. Du bist jetzt die heißeste Partie der Stadt. Ich meine …«, er geriet absichtlich ins Stottern, »… das warst du vorher auch schon. Nur wußten es die wenigsten.«
»Halt bloß den Mund«, flüsterte Paula. »Woher weißt du das? Ich weiß es selber erst seit ein paar Tagen.«
»So was spricht sich blitzschnell rum. Eine undichte Stelle im Büro des Notars oder beim Grundbuchamt. Du weißt doch, wie die Leute sind. Schließlich handelt es sich ja nicht um irgendein Reihenhäuschen.«
Paula befreite sich aus seinem Griff. »Das mit der Heirat überlege ich mir. Wenn du deinen albernen Bart abnimmst.«
»Niemals!«
»Wenigstens hast du Charakter.«
Die Woche vor Ostern brachte eine unerwartete Atempause für Paula, die sie Doris verdankte. Am Sonntagabend fragte sie: »Was meinst du, ob ich den Hund ein paar Tage bei dir lassen kann? Es macht nichts, wenn du arbeiten gehst, er schläft sowieso den ganzen Vormittag.«
»Klar. Fährst du weg?«
Doris erzählte etwas von Verhandlungen mit ihrem Verlag, außerdem stünden zwei Termine für längst vereinbarte Lesungen an Grundschulen in Würzburg und Dinkelsbühl an, danach wollte sie noch ihre Eltern besuchen.
Sie braucht Geld, folgerte Paula, für die Renovierung dieses rätselhaften Rohrbruchs. Und der Salamianwalt wird auch nicht zu den billigsten gehören. Deshalb besucht sie ihre Eltern.
»Ich fahre morgen früh und bin wahrscheinlich am Donnerstag zur Probe wieder da. Geht das?«
Paula nickte mit schlecht verhohlener Freude. Sie sagte ihr nicht, daß sie vor einigen Tagen beschlossen hatte, über Ostern zu verreisen. Nach Berlin, zu ihrem Bruder Thomas. Ihre leibliche Verwandtschaft zu ertragen erschien Paula in ihrer momentanen Lage als das kleinere Übel. Außerdem war ein Besuch längst wieder einmal fällig, das letzte Mal war Simon noch fast ein Baby gewesen.
Zusammengenommen bedeutete das eine ganze Woche ohne Doris. Fast so etwas wie Urlaub. Die Zeit läuft, fieberte Paula insgeheim. Nach Ostern sind es nur noch zwei Wochen bis zur Premiere, danach zwei Wochen Spielzeit, und dann werden Simon und ich alles hinter uns lassen.
Doris reiste am nächsten Morgen
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