Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
telefonieren höre, bin ich sofort verschwunden.«
»Nur keine Sorge.« Paula verließ die Küche und ging ins Wohnzimmer. Anton, er hatte aufgehört zu bellen, saß hinter der Tür, wie auf Kohlen. Er haßte es, vom Geschehen ausgeschlossen zu sein. Sofort schnellte er hoch und spurtete neugierig an Paula vorbei, in die Küche, um sich den Gast näher anzusehen. Paula hörte es bellen, knurren und gleichzeitig einen fürchterlichen Brüller. Demnach hatte sie Vitos erste Reaktion auf Anton richtig gedeutet. Sie lächelte zufrieden und folgte Anton in die Küche. Vito klemmte zitternd auf dem Stuhl, unter seiner künstlichen Bronzehaut war er weiß wie ein Laken.
»Ruf das Vieh zurück!« Seine Stimme klang panisch.
Jeder, der einigermaßen Ahnung von Hunden hat, hätte sofort erkannt, daß Anton noch viel zu jung war, um eine ernsthafte Gefahr darzustellen, noch dazu war seine Rasse bekannt für ihre Gutmütigkeit. Da Anton jedoch in Frauenhaushalten aufgewachsen war, waren ihm Männer von Natur aus etwas suspekt. Sein Bellen und Haaresträuben war das Resultat seiner eigenen Unsicherheit, mit der er auf diesen Eindringling reagierte. Ein beruhigendes Wort von Paula, auch von Vito selbst, hätte ihn besänftigt. Doch für Vito, der Hunde schon immer gefürchtet und daher nie kennengelernt hatte, war dieser hier eine ebenso gefährliche, zähnefletschende Bestie wie alle anderen auch. Er tat genau das Falsche: Er zeigte seine Angst. Dies aber war für Anton, den Halbstarken, eine neue, erregende Erfahrung und veranlaßte ihn zu übermütigem Gekläff, wobei er halb drohend, halb spielerisch an seinem Opfer hochsprang und nach seinem Mantelärmel schnappte.
Noch immer lächelnd, zückte Paula ihre Minolta. Erst heute mittag, im Englischen Garten, hatte sie einen neuen Film eingelegt. Sie ging in die Knie, knipste den schreckensstarren, schweißüberströmten Vito mit dem herumhüpfenden Anton, welchen die Blitze aus diesem schwarzen Kasten erst recht aufregten.
»Weißt du«, der Auslöser klickte, während Paula Vito von allen Seiten knipste und Anton fortwährend bellte, »Hunde wachsen schnell.« Klick. »Im Januar war Anton«, klick, »noch ein ganz kleiner, wolliger Teddybär«, klick, »der keiner Fliege etwas zuleide tat. Aber jetzt – man kann für nichts garantieren.« Klick. »So lächle doch ein bißchen! Ich denke, du bist Model? Du siehst ja aus wie eine Leiche!«
»Paula, bitte, nimm das Scheusal weg.«
»Gleich, Vito. Wir wollen das mit dem Zeitpunkt noch etwas genauer festhalten. Würdest du bitte mal hinter dich auf den Küchentisch greifen? Anton, laß seinen Mantel in Ruhe! Da liegt der Stadtkurier von heute. Jaah, ganz langsam! Vorsichtig, vorsichtig, damit du Anton nicht erschreckst. Anton haßt nämlich Zeitungen. Doris hat sie ihm immer übergebraten, wenn er ins Wohnzimmer gekackt hat, als er noch klein war. So etwas merkt sich ein Hund.«
Mit bebenden Händen nahm Vito die Zeitung und hielt sie wie ein Schutzschild vor sich. Anton knurrte.
»So ist es schön«, Paula sprach gleichzeitig zu Vito und Anton. Sie gestand sich ohne Skrupel ein, daß sie die Situation genoß. Blut sollte er schwitzen, dieser Fiesling, der so tatkräftig geholfen hatte, ihr Leben zu ruinieren. »Und jetzt das Titelblatt zu mir. Du weißt doch, wie sie das beim Kidnapping immer machen, ja? Das Opfer mit der Schlagzeile von heute …« Sie drückte mehrmals auf den Auslöser. »Was haben wir denn da? Hermann Ullrich steil auf Erfolgskurs! Das ist erfreulich. Ein nettes Foto wird das geben, gell, Anton? Für das Album von deinem Frauchen. Ein Hund, eine Zeitung und ein Schwein. Lächeln, Vito! Immer schön die Zähne zeigen.«
Jäckle stieß einen kurzen Pfiff aus und sah Rainer Zolt forschend an. »Bist du sicher, daß das Vito war? Du kennst ihn doch nicht.«
»Absolut. Ich habe Bilder gesehen, von den letzten Theaterstücken und vom Sommerfest. Unverkennbar, der Typ. Rasierwasser-Reklamefresse, speckige Haare. Als er rauskam, ist er ganz nah an mir vorbeigelaufen, ich dachte schon, jetzt sieht er mich, aber er guckte nicht links und nicht rechts. Der Junge sah fix und fertig aus.«
»Verletzt?«
»Nein. Eher nervlich. Er ist durch den Garten gerast, als ob der Leibhaftige hinter ihm her wäre. Seinen Wagen hatte er komischerweise drei Straßen weiter geparkt.
»Das ist ja ein Ding! Und Paula?«
»Nichts. Ich sah ihren Schatten noch eine Weile im Wohnzimmer herumgehen, dann ist sie ins Bett gegangen
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