Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
du an Pfingsten wieder.«
»Ich wollte ein wenig ausspannen. Meinen Text lernen.«
»Sei froh, daß du was Sinnvolles machen darfst. Mensch, Zolt, tu’s für mich! Um der alten Zeiten willen!« Mit diesen Worten und der Ermahnung, ihm täglich zu berichten, war Zolt entlassen worden.
Vito war beim Haus angekommen und klingelte. Wenig später ging die Tür auf, Zolt sah, wie ihn die Körner kühl und wortlos musterte und ihn dann mit einer kurzen Bewegung des Kopfes hereinbat. Der Reaktion nach hatte sie ihn nicht erwartet, und besonders willkommen schien er ihr auch nicht zu sein. Aber so erschrocken wie Paula war sie nicht. Die Tür ging zu. Der Hund bellte und wurde kurz darauf eingesperrt, zumindest klang sein Jaulen so. Zolt hatte selbst Hunde gehabt, er wußte die Laute zu deuten. Er wartete eine Viertelstunde, dann stieg er aus.
Scheiß Fensterläden! Alles dicht. Keine menschliche Stimme drang nach außen, nur das traurig-aufgeregte Winseln des Hundes. Eine halbe Stunde stand er im Schatten der Bäume vor dem Haus. Nichts tat sich.
Er beschloß, um das Haus herumzugehen. Vielleicht war auf der Rückseite ein Fenster gekippt, so daß er etwas lauschen konnte. Nein, sämtliche Fenster waren zu, die Läden auch. Sonst war das Haus nie so verrammelt. Was taten die da drinnen Geheimnisvolles?
Scheiße, dachte er, als er unschlüssig im feuchten Gras stand und die Nässe seine Wildlederschuhe langsam aufweichte, wahrscheinlich schieben die zwei eine muntere Nummer nach der anderen, und ich steh’ hier draußen wie der letzte Spanner und frier’ mir einen ab. Jetzt reicht’s mir. Er ging zu seinem Wagen und machte es sich im Sitz bequem. Ab und zu nuckelte er am Flachmann und verwünschte dabei Jäckle, Paula, die Körner und die ganze Bande.
Thomas Nickel war ziemlich überrascht gewesen, als seine Schwester, kurzfristig, wie es von Paula nicht anders zu erwarten war, ihren Besuch über Ostern angekündigt hatte. Die Geschwister telefonierten sonst nur sporadisch, und selbst das klappte nicht immer. Paula wollte in ein Hotel ziehen, aber Thomas bestand darauf, sie und ihren Sohn selbst zu beherbergen, in seiner Doppelhaushälfte in Reinickendorf, die von Gerlinde und den Töchtern österlich geschmückt worden war. Paulas Nichten, sie waren acht und zehn Jahre alt, bemutterten und hätschelten Simon von hinten bis vorne, und auch Gerlinde schien ihn in ihr sprödes Herz geschlossen zu haben. Paula und Gerlinde hatten sich nicht viel zu sagen, das bißchen Gesprächsstoff – die Kinder, das Haus und Thomas’ Karriere bei Siemens – hatte sich in den vergangenen zwei Tagen restlos erschöpft, ebenso wie die Begegnung mit ihrer Mutter distanziert und kühl verlaufen war. Paula war wieder einmal klar geworden, daß sie diese Frau nicht liebte, nicht einmal ein bißchen. Das wenige, was sie für sie empfand, war Mitleid, vermischt mit einer Spur Verachtung, wofür sie sich wiederum schämte.
Ihr Bruder Bernd und seine Frau hatten den geplanten Osterbesuch bei Thomas und Gerlinde sofort abgesagt, als sie hörten, wer noch kommen sollte. Paula bedauerte das nicht. Sie und Bernd verabscheuten sich seit ihrer Kindheit gründlich. Auch Thomas schien sich im Lauf der Jahre von seinem Bruder distanziert zu haben, zumindest sagte das Gerlinde und begründete es damit, daß Spandau doch eine ganze Ecke entfernt sei.
Immer wieder dachte Paula an Doris. War sie gerade dabei, ihre Sachen zu packen? Oder durchzudrehen und das Haus anzuzünden? Was wird mich erwarten, wenn ich nach Hause komme?
Am Sonntag, Paulas letztem Abend in Berlin, blieben Thomas und Paula lange auf und redeten. Sie tauchten ein in ihre Vergangenheiten, wobei, betrachtet durch das verzerrende Okular der Zeit, vieles in einem verklärten Licht dastand: »Es ging manchmal schon verrückt zu, bei Lilli. Einmal die Woche, donnerstags, trafen sich Schauspieler, Musiker, Maler, Schriftsteller und alles, was sich noch für einen Künstler hielt, in ihrem Haus, vielmehr in dem ihres Mannes, Maurice. Der hat das Treiben immer mit einer amüsierten Distanz betrachtet. Wenn’s ihm zu wild wurde, ging er ins Bett, während sie unten den Flügel malträtierten, philosophische Dispute über Gott und die Welt führten und mit fortschreitender Trunkenheit Gedichte daherlallten. Eine Zeitlang war es sogar Mode, Kokain zu schnupfen. Das Ganze war so eine Art Salon, wie in den zwanziger Jahren, nur daß wir keinen Charleston tanzten, schließlich war das alles
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