Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
noch immer nichts unternommen. Entweder sie ist zur Einsicht gekommen …«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
»… oder das ist die Ruhe vor dem Sturm. Zu allem Überfluß sehe ich sie jeden Mittag gegenüber aus dem Büro kommen. Sie trägt seit Wochen dasselbe graue Kostüm. Ach ja, meine Anwältin hat mit Klaus gesprochen. Er zeigte sich nicht sehr kooperativ.«
»Hm.«
»Vergiß nicht Simons Geburtstag, morgen. Du kommst doch?«
»Natürlich.«
Natürlich? So natürlich war das auch wieder nicht. Immerhin war Lilli zu ihrem Geburtstag nicht erschienen.
»Ich muß jetzt Schluß machen, Tante Lilli. Weigand kommt gerade angehumpelt. Bis dann.«
Karl-Heinz Weigand lehnte seine Krücken gegen Paulas Bildschirm und setzte sich ächzend auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch.
»Na, wie läuft’s?«
»Großartig.«
Weigand näherte sich der Sache auf Umwegen. »Paula, du hast gute Arbeit geleistet, als du mich vertreten hast.«
»Danke.«
»Doch, wirklich. Du bist um Klassen besser als der …«, er sah sich vorsichtig um.
»Ich weiß. Dazu gehört nicht viel.«
»Trotzdem bin ich in den letzten Tagen nicht so ganz einverstanden mit dem, was du tust, versteh mich nicht falsch. Du hattest viel um die Ohren, ich weiß, aber …«
»Aber?«
»Paula, verdammt nochmal! Sieh dir nur den Artikel über den Kabarettabend an! Das ist … blasses, blutleeres Geschwafel, wenn ich mal ehrlich sein soll. Wo ist da der Witz, wo dein berühmter Biß?«
Paula wußte, wovon er sprach. Sie hatte sich an diesem Abend weder auf die Künstler noch am nächsten Tag auf die Kritik konzentrieren können. Und dies war nicht der einzige Artikel, den sie lustlos zusammengeschustert hatte.
»Du hast recht«, gab sie zu. »Ich bin im Moment nicht ganz auf dem Posten. Die Sache mit Simon …«
Weigand nickte. »Kann mir vorstellen, was das für ein Schock war. Inge hat mal einen Nervenzusammenbruch bekommen, als unsere Große auf dem Jahrmarkt verlorenging. Wir fanden sie nach einer Stunde im Stall, bei den Ponys.« Paula antwortete nicht. Weigand rutschte verlegen auf dem Stuhl hin und her.
»Ich habe durchaus Verständnis für deine Situation. Aber deine Sachen werden halt auch von anderen Leuten gelesen.«
Paula verstand. Sicher hatte Schulze hintenrum gestänkert. »Vielleicht hast du dich ein bißchen übernommen?« meinte Weigand. »Mit dem Theaterspielen noch zu allem hin.«
»Wahrscheinlich«, gab Paula unumwunden zu. »Aber jetzt, so mitten drin, kann ich die Truppe nicht hängen lassen. Ich verspreche dir, ich werde mich zusammenreißen, okay?«
Er machte Anstalten, ihr die Hand zu drücken, aber dann ließ er es bei einem priesterhaften Lächeln. »Das wollte ich nur von dir hören. Jeder kann mal eine Krise haben, und ich bin kein Unmensch, das weißt du hoffentlich.«
»Ich weiß, ja.«
Weigand schien noch nicht fertig zu sein, denn er spielte mit seiner Krawatte herum, die wie ein Schlafanzug gemustert war. »Und du möchtest wirklich ab nächster Woche wieder halbtags arbeiten?«
Paula nickte entschlossen. »Es geht nicht anders. Simon braucht mich momentan. Das ist mir klar geworden, durch diese Sache.«
»Verstehe«, brummte er. »Paula, du solltest wissen, daß ich dir eigentlich bis in ein, zwei Jahren … ich meine, daß ich dich als meine Nachfolgerin aufbauen wollte. Aber das geht natürlich nur, wenn du weiterhin ganztags arbeitest. Ich würde dir nur äußerst ungern den … einen Kollegen vor die Nase setzen.«
Paula dankte ihm lächelnd. Wie sehr hätte sie diese Anerkennung unter normalen Umständen gefreut. Jetzt schien alles belanglos. »Vielleicht wäre es eine Kompromißlösung, wenn ich ab Herbst wieder voll einsteige?« Es tat ihr weh, Weigand zu hintergehen, aber es war nun einmal nicht zu ändern.
»Darüber ließe sich nachdenken.« Weigand erhob sich und klemmte seine Krücken unter die Arme. Er wirkte zufrieden, fürs erste.
Als er fort war, atmete Paula auf. Sie hatte wieder ein bißchen Zeit gewonnen. Zeit wofür? Konnte sie überhaupt Zeit gewinnen, wo doch mit jedem Tag die Gerichtsverhandlung näherrückte? War es nicht vielmehr so, daß sie wertvolle Zeit mit Simon verlor? Zeit, die Doris mit ihm verbrachte, weil seine Mutter mit anderen Dingen beschäftigt war? Ich bin nicht nur als Mutter eine Versagerin, jetzt lasse ich auch noch im Beruf nach, dachte Paula voller Bitterkeit. Vielleicht wäre Simon mit einer anderen Mutter wirklich besser bedient. Vielleicht ist er ja
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