Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
preßte Paula schließlich hervor, »manchmal bist du mir direkt unheimlich.«
Lilli antwortete nichts darauf, und als Paula am nächsten Tag Simons Reisetasche packte, sah sie vom Fenster aus, wie Lilli sich mit Doris über den Gartenzaun hinweg unterhielt. Es schien ein sehr intensives Gespräch zu sein, sie sah Doris ein paarmal nicken, als ginge ihr soeben ein Licht auf. Was in aller Welt hatten Lilli und Doris auf einmal so vertraulich miteinander zu reden? Paula entschloß sich, Lilli nicht danach zu fragen. Sie hatte auch so schon genug Stoff zum Nachdenken.
Knapp zwei Wochen nach Bosenkows Festnahme erschien Zolt in Jäckles Büro. Mit lautem Gruß polterte er herein, lockerte seine Krawatte – winzige flirrende Streublümchen, bei deren Anblick Jäckle die blutunterlaufenen Augen tränten – und setzte sich auf die Stuhlkante.
»Na, du Held der Stadt.«
»Halt bloß dein Maul.«
»Es ist herrlich draußen. Markt ist, die ersten Tulpen blühen, Vögel zwitschern … Willst du alte Kellerassel nicht mal aus deinem Dreckstall rauskommen? Wir könnten bei Gino eine Pizza essen.«
»Am besten händchenhaltend«, entgegnete Jäckle, »damit uns die ganze Stadt zusammen sieht.«
»Was soll’s. Ich habe eh nichts herausgefunden. Rein gar nichts. Keine spricht über die andere. Die Nickel ist nervös, aber ich kriege nicht raus warum. Nicht daß sie deswegen schlecht spielt, das nicht. Die Frau ist ein Phänomen. Ich zum Beispiel, ich muß in meiner kostbaren Freizeit stundenlang Text lernen, sie dagegen kann ihn nach zweimal Anhören in- und auswendig. Zuerst hatte ich den Eindruck, ihr paßte das mit der Hauptrolle gar nicht. Siggi und die Körner haben sie da ziemlich überfahren. Aber inzwischen meine ich, daß sie froh ist, wenn sie für ein paar Stunden in eine andere Haut schlüpfen kann. Sie taucht richtig in die Rolle ein, fast als würde sie sich in deren Leben wohler fühlen. Aber kaum ist die Probe vorbei, da kriegt sie diesen gehetzten Ausdruck in den Augen und hat es furchtbar eilig, nach Hause zu kommen. Sogar jetzt, wo ihr Sohn mit seiner Tante verreist ist.«
»Seit wann?«
»Gleich nach der Sache mit dem Russen. Aber er kommt wohl Ende nächster Woche wieder. Sag ehrlich, Jäckle, hat das Detektivspiel denn noch Sinn? Kannst du dich gar nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß es vielleicht doch dieser Bosenkow war?«
»Ich habe da meine Zweifel«, antwortete Jäckle. »Und sonst?«
»Gelegentlich fällt der Name Vito.«
»Vito? Friedhelm Becker?«
»Kennst du ihn?«
»Ist ein alter Bekannter hier. Drogengeschichten, Hehlereien, solche Sächelchen eben. Was ist mit ihm?«
»Er ist seit der ersten Zusammenkunft der Truppe nicht mehr erschienen. Das war schon im Januar. Muß wohl einen bösen Streit mit Paula gehabt haben.«
Jäckle wurde hellhörig. »Streit mit Paula?«
»Ja. Er sollte ursprünglich meine Rolle haben, aber er wollte nicht mit Paula spielen. Jedenfalls trieb er es so weit, daß sie mit irgend was nach ihm geworfen hat. Scheint in dieser Stadt so Usus zu sein«, fügte er in Erinnerung an seinen letzten Abgang hinzu. »Mehr weiß ich nicht.«
»Soso. Finde doch bitte möglichst viel über die Sache heraus. Zum Beispiel, ob ihn in der Zwischenzeit wieder mal jemand gesehen hat.«
»Geht in Ordnung. Heute ist übrigens wieder Probe. Nur Paula und ich. Die Versöhnungsszene.« Er grinste boshaft.
»Na prima«, sagte Jäckle. »Nimm vorher genug Mundwasser.«
»Und?« fragte Lilli, erwartungsvoll. »Was gibt’s Neues?«
»Tante Lilli«, antwortete Paula etwas ungehalten über die telefonische Störung, »ich bin im Büro.«
»Das ist mir bekannt, ich bin noch nicht senil«, kam es ungeduldig. »Ob es was Neues gibt, will ich wissen.« Die gleiche dringliche Frage hatte sie gestellt, nachdem sie am vergangenen Wochenende mit Simon aus Frankreich zurückgekommen war. Worauf wartete sie bloß?
»Laut den jüngsten Meinungsumfragen wird Hermann Ullrich unser neuer Bürgermeister.«
Anscheinend war es nicht das, was Lilli hören wollte.
»Sonst ist nichts passiert?«
»Nein. Es kann ja schließlich nicht jeden Tag …« sie wollte eben ›Mord und Totschlag geben‹ sagen, bremste sich aber im letzten Moment. Die Stellwände waren sehr dünn, und Vera und der Schulze besaßen Ohren so empfindlich wie Satellitenschüsseln.
»… etwas Aufregendes geschehen. Mir reicht es auch so.«
Lilli wurde deutlicher. »Hat sich mit der Schönhaar was getan?«
»Sie hat
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