Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
deine Mutterqualitäten aussagen.« Danach war sie gegangen.
»Es geht schon in Ordnung«, sagte Paula zu Siggi. Die paar Wochen kriegen wir jetzt auch noch hin.«
»Paula«, sagte Siggi mit ungewohnt weichem Timbre in der Stimme, »du bist so verändert in letzter Zeit. Stimmt etwas nicht?«
»Wieso? Spiele ich schlecht?«
»Nein, ganz im Gegenteil, das weißt du doch. Aber sonst. Du wirkst so fahrig, so …«
Er verstummte, weil sich soeben Rainer Zolt heranpirschte, und Paula verabschiedete sich rasch von beiden. Rainer folgte ihr auf den Parkplatz.
»Könnten wir nicht irgendwo noch schnell einen Kaffee trinken?«
Wäre Simon nicht gewesen, hätte Paula vielleicht ja gesagt. Er hatte wirklich schöne Hände, und die Berührung seines Körpers bei den Proben verursachte ein angenehmes Gefühl. Aber nach Doris’ Warnungen bezweifelte Paula, ob diese Manuela ihrem ausgeprägten Schlafbedürfnis wirklich widerstehen konnte. Ob sie überhaupt hören würde, wenn Simon aus einem schlechten Traum erwachte und weinte?
»Heute nicht. Ich hab’ eine Schülerin zu Hause sitzen, die muß ins Bett.«
»Heißt das, ein andermal Ja?«
Paula honorierte seufzend seine Hartnäckigkeit: »Okay.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Zolt, der das Angenehme recht gut mit dem Nützlichen zu verbinden verstand, wollte noch eine beiläufige Frage nach diesem Vito stellen, aber Paula war blitzschnell in ihrem Wagen verschwunden und fuhr los, als würde sie das eben Gesagte schon wieder bereuen.
Paula betrat leise das Haus. Sie wollte prüfen, ob Manuela tatsächlich schlief. Aber Manuela war gar nicht da. Im Sessel vor dem Kamin saß Doris.
Paula erschrak. Nicht nur, weil Doris anstelle von Manuela dort saß, es war vielmehr die Art, wie sie dort saß: aufrecht und starr, die Hände leer, kein Buch, keine Zeitung, kein Glas auf dem Tisch, nirgends lag das obligatorische Strickzeug. Der Fernseher war aus, es lastete eine bleierne Stille im Raum, die durch das Ticken der Wanduhr noch unterstrichen wurde, und Paula hatte den Eindruck, nein, sie wußte genau, daß Doris sich eben erst hingesetzt hatte, als sie sie kommen hörte.
»Was, zum Teufel, tust du hier?«
Doris hob den Kopf. »Na, wie lief’s?«
»Was du hier machst, will ich wissen!« Paula bemühte sich erst gar nicht, freundlich zu sein.
»Ich passe auf Simon auf.«
»Wo ist Manuela?«
»Die habe ich nach Hause geschickt.«
»Etwa allein? Zu Fuß?«
»Mit einem Taxi. Ich kam rein, im Fernsehen lief Das Schweigen der Lämmer , und sie hat geschlafen!«
»Das spricht zumindest für ihre Nerven. Wieso kamst du überhaupt rein?«
»Ich mußte einfach mal nachsehen. Es hat mir keine Ruhe gelassen.«
»Doris«, sagte Paula und versuchte mit zweifelhaftem Erfolg ihrer Stimme Festigkeit zu geben, »als wir unsere Schlüssel austauschten, da habe ich es als selbstverständlich angesehen, daß wir sie nur im Notfall benutzen oder wenn die andere davon weiß.«
»Dies schien mir ein Notfall. Paula, ich könnte es nicht ertragen, wenn Simon das gleiche geschieht wie Max.«
»Wie soll das gehen? Wo er doch in seinem Bett liegt und schläft. Außerdem«, sie blickte Doris provozierend in die Augen und zitierte ihren Kollegen, »ist die Bestie von Maria Bronn ja nun hinter Schloß und Riegel. Die Bürger können aufatmen.«
»Gottlob«, sagte Doris, und Paula fragte sich, ob das ehrlich oder zynisch gemeint war.
»Hör mal«, sagte Paula ernst, »ich möchte nicht, daß du hier so einfach reinspazierst, ohne daß ich was davon weiß.« Ohne eine Antwort abzuwarten trat sie hinaus auf den Flur, zog ihre Jacke aus und stellte ihre Tasche ab. Sie würde Doris ihren Hausschlüssel wiedergeben und ihren eigenen zurückverlangen. Ja, sie würde es mit Doris aufnehmen, wenn’s sein mußte sofort, auf der Stelle. Paula fühlte sich durch ihren Zorn gestärkt. Soll sie doch mit ihrer Vito-Geschichte zur Polizei gehen. Lilli hatte schon recht, es gab keine Zeugen, keine Leiche, was wollte sie eigentlich? Im Vorbeigehen sah Paula in den großen Spiegel neben dem Schlüsselkästchen und war zufrieden mit der Entschlossenheit, die ihr daraus entgegenblickte.
Der Schlüssel zu Doris’ Haus hatte immer zusammen mit allen anderen an den goldenen Elefantenrüsseln auf der Unterseite des Kästchens gehangen, dessen war sich Paula absolut sicher. Es war ein einzelner Schlüssel mit einem Anhänger, auf dem in Doris’ Schulmädchen-Handschrift ihr Name stand. Aber da war er
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