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Mordsmöwen

Mordsmöwen

Titel: Mordsmöwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sine Beerwald
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die Eierschalen angesehen, die schwarzen Punkte darauf gezählt und aus den unterschiedlichen Formen und Größen die Zukunft herausgelesen. Dir, Ahoi, hat er einen kriminellen Werdegang prophezeit, und dass du deinen Vater damit eines Tages ins Grab bringen würdest.«
    Tante Emma stößt einen Schrei aus, während ich gar nicht mehr reagieren kann. In meinem Kopf herrscht trotz der Fülle an Informationen absolute Leere. Meine Tante kann sich hingegen gar nicht mehr beruhigen.
    »Sag mal, Irma, hast du noch alle Halme am Nest? Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass dieser Unglücksrabe ein Betrüger war? Ein schräger Vogel, der dir einfach irgendwelche Geschichten erzählt hat, um das schnelle Geld zu machen?«
    Meine Mutter putzt sich angelegentlich das Gefieder. »Er war zugegeben ziemlich teuer, weil er mit hier seltenen Regenwürmern bezahlt werden wollte – aber was willst du? Was nichts kostet, taugt nichts. Ich weiß auch, dass es in der Branche ziemlich viele diebische Elstern gibt, aber er war ein echter Unglücksrabe und sein Geld wert, schließlich hat er recht behalten!«
    »Schon mal was von einer selbsterfüllenden Prophezeiung gehört?«, kreischt Tante Emma. »Du hast Ahoi vernachlässigt, weil du geglaubt hast, aus ihm würde sowieso nichts werden. Ja, jetzt glaube ich sogar, du wolltest ihn als Küken absichtlich verhungern lassen, damit er nicht zum Schandfleck für die Familie wird. Du hast all deine Energie in Aaron gesteckt, ihm hast du alles beigebracht – da ist es doch nicht verwunderlich, dass Ahoi sich einer kriminellen Bande angeschlossen hat. Von irgendwas muss er sich ja ernähren, und er hat eine Ersatz-Familie gebraucht, nachdem du ihn von Hooge weggeekelt hast. Und dass Ahoi seinen Vater durch sein Verhalten ins Grab bringt, das ist doch nichts als ein dummer Spruch. Ahoi kann rein gar nichts für den Tod seines Vaters – du willst es nur glauben, weil dir dieser Wahrsager-Vogel ins Hirn geschissen hat!«
    »Lass gut sein, Tante Emma.« Sie hat ja recht, es tut mir nur so furchtbar weh, das alles zu hören. Ich könnte meiner Mutter noch viel mehr entgegenschreien, aber was bringt das jetzt noch? Sie hat diesem Unglücksraben mehr vertraut, als dass sie an mich geglaubt hat. Meine Tante hat es schon richtig erfasst: selbsterfüllende Prophezeiung.
    »Weißt du was, Mutter?«, sage ich erstaunlich ruhig. »Du hast mich immer spüren lassen, dass ich in deinen Augen nichts wert bin, deshalb war ich mir oft selbst nichts wert. Ich war sogar bereit, auf mein Erbe zu verzichten und mich überhaupt nie wieder hier blicken zu lassen. Aber nun bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Pflichtteil zu fordern. In bar. Ich benötige fünfzig Makrelen, frisch. Jetzt sofort.«
    »Ach, scher dich doch zum Raben!« Meine Mutter steht auf und schlägt mit den ausgebreiteten Flügeln in die Luft, um ihre Aussage zu unterstreichen.
    Da sehe ich etwas in der Beuge zwischen Flügel und Oberkörper, was sich unter den dünnen Federn deutlich abzeichnet. »Was ist denn das für ein Knoten?«
    Auch meine Tante macht einen Schritt auf meine Mutter zu. »Das habe ich auch noch nicht gesehen. Zeig mal her.«
    »Lasst mich in Ruhe, alle miteinander! Ich bin nicht krank.«
    »Doch, das bist du«, sagt meine Tante. »Das kann etwas sehr Ernstes sein. Das solltest du abklären lassen.«
    »Die Menschen in der Schutzstation können dir bestimmt noch helfen, wenn du frühzeitig hingehst«, pflichte ich meiner Tante bei, auch wenn ich wenig Hoffnung habe, dass ausgerechnet ich meine Mutter erreiche.
    So ist es auch. Mit ungeahnter Aggressivität in der Stimme schreit sie mich an: »Ich soll in ein Pflegeheim gehen? Niemals!«
    »Schutzstation, nicht Heim. Die Hooger Schutzstation kümmert sich wirklich ganz toll, ich war doch als Jungvogel ständig dort, weil ich mich wieder bei irgendeiner verrückten Aktion verletzt habe, schon vergessen? Die Menschen dort sind echt alle supernett und kümmern sich.«
    »Wenn ich in dieses Heim gehe, muss ich für immer bleiben und komme nie mehr in Freiheit.«
    »Noch mal: Das ist kein Heim, nur eine Pflegestation.«
    »Du willst mich loswerden? Deshalb bist du gekommen, ja? Der Rabe hatte wieder recht: Du wirst eines Tages mit einer Person gemeinsame Sache machen, um an Makrelen zu kommen. Hat Emma dich gerufen, damit ihr mich in diese angeblich harmlose Schutzstation stecken könnt?«
    »Nein, habe ich nicht«, ereifert sich meine Tante. »Aber ich habe ihm

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