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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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abzuhauen.
    »Sie wollte nicht zum Arzt … zum Psychiater. Ich … sie braucht doch jetzt genauso Hilfe wie ich … aber sie wollte nicht hingehen. Ob sie deshalb … ich weiß es nicht.«
    Erich fühlte sich nach dem Telefonat mit der müde klingenden Frau auf einmal auch sehr geschlaucht – dieses drückend schwüle Wetter … er würde heute bald Schluss machen. Vera wollte er dann von zu Hause aus anrufen.
    Mühlbauer kam, um nachzufragen, wann sie sich den Weger denn vorknöpfen würden. Auch der Kontrollinspektor wirkte müde und war froh, dass Erich den Mann noch etwas in seiner Zelle schmoren lassen wollte. »Hoffentlich habe ich mir nicht eine Sommergrippe eingefangen, Chef. Beim Raub drüben hat es auch schon zwei erwischt. Ich fühle mich total schlapp.«
    »Das wäre jetzt tatsächlich der ungünstigste Zeitpunkt«, stellte der Chefinspektor fest.
    Mühlbauer nickte matt, bevor er sich verabschiedete.
    »Dann hoffentlich bis morgen«, sagte Erich.
    Nachdem sie lange zu der Fichte hinausgestarrt, sich dort aber nichts mehr bewegt hatte, bekam Anja Hunger und holte sich von ihren Einkäufen den Milchbrot-Zopf, den Schokoaufstrich sowie eine Packung Kakao aus dem Versteck. Sie hing die Taschenlampe mit einer Schnur an die Küchenleuchte über dem Tisch und bemerkte, dass ihre Angst beim Essen nachließ.
    Zum Zeitvertreib ging sie danach ins Schlafzimmer ihrer Eltern, um durch den Spalt des Fensterbalkens dem Bauern dabei zuzusehen, wie er Siloballen machte. Natürlich fiel ihr sofort ein, wie sie ihm mit Birgit dabei zugeschaut hatte; und schon füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen.
    Sie sehnte sich nach ihrer Mama. Und nach Papa! Papa, mein Gott, Papa … Morgen, das nahm sie sich fest vor, werde sie nach Seekirchen hineingehen und von einer Telefonzelle aus zuhause anrufen. Dieser Entschluss beruhigte ihr schlechtes Gewissen. Aber sie wollte nicht nach Vilnius, nicht zum Psychiater und keinesfalls in die Schule!
    Als es draußen dämmerte und sie nicht mehr viel erkennen konnte, kehrte Anjas Angst zurück, und sie ging zu dem Schränkchen im Wohnzimmer, in dem ihr Papa die alkoholischen Getränke aufbewahrte. Sie nahm eine Flasche Wodka, holte sich den Himbeersirup, mischte in einem Glas beide Flüssigkeiten zusammen – und trank es so schnell wie möglich aus. Das Getränk war süß – und doch auch so unangenehm scharf, dass sie mehrmals absetzen musste. Danach spülte und trocknete Anja das Glas sofort ab und stellte es in den Geschirrschrank zurück. Sie war damit noch nicht fertig, als sich ihr Zustand veränderte. Sie ging plötzlich so komisch … so weich und … kurvig … und schon fing sie an zu kichern … sie kicherte eine Zeitlangvor sich hin, bevor sie zu wissen glaubte, warum eigentlich. Es war doch alles … das alles war doch überhaupt nicht so schlimm. Und der Mann … nie im Leben käme der in der Nacht … niemals! Alles wird wieder gut werden.
    Sie ging langsam und ziellos in der Küche herum. Dann wechselte sie wieder ins Wohnzimmer, wobei sie immer dem tanzenden Strahl ihrer Taschenlampe folgte, über den sie lachen musste, da sie ja auch selber tanzte … so rund … so kurvig. Auf einmal fühlte sie sich müde. Sie ging in ihr Zimmer, dabei wäre sie mehrmals fast gestolpert, worüber sie noch mehr lachen musste, und legte sich, angezogen, wie sie war, auf ihr Bett. Kurz dachte sie ans Zähneputzen, aber da drehte sich schon alles in ihrem Kopf … in einem fort drehte es sich so lustig … und Anja musste wieder kichern … fast wie im Prater, bei der kleinsten Bewegung ihres Kopfes wirbelte sie schon im Kreis herum … oder rollte sie in einem Heuballen dahin? Im Heuballen wäre sie wirklich in Sicherheit … in dem Siloballen würde ihr nichts passieren … darin, Mama, rolle ich nach Salzburg!

7
    »He! Weißt du es schon?«
    »Was?«
    »Deine Tochter ist weg.«
    »Meine was … Anja?« Hans Weger sah den Mithäftling ungläubig an, der ihn da beim Hofspaziergang angesprochen hatte und in dessen Gesicht sich nun ein Ausdruck der Befriedigung zeigte, während er mit den Fingernägeln der rechten Hand über den linken Unterarm schabte. Ein Insekt musste ihn gestochen haben, an der juckendenStelle hatte sich ein kreisrunder roter Fleck gebildet. Er blickte versonnen auf die winzigen dunkelroten Pusteln und kratzte heftiger, um gleichzeitig in aggressiverem Ton fortzufahren: »Deiner Kleinen ergeht es jetzt wie der, die du dir geholt hast. Kinderficker! Du bist nämlich

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