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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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Weil sie so erschrocken war über die Mama. So alt, wie die ausgesehen hatte. Ihre hübsche Mama. So faltig, ungepflegt und verschlafen, wie sie aus dem Schlafzimmer getappt war.
    Mit raschen Schritten ging Anja jetzt zur Hinterseite des auf einer niedrigen Mauer aus Bachsteinen aufgesetzten Holzhauses, dorthin, wo die beiden hohen Fichten standen, an denen sie immer die Hängematte befestigten, und wo es auch im Hochsommer feucht roch, der Boden mit Moos bedeckt war, weil kaum Sonne durchkam. Heute stieg ihr aber sofort der herrliche Duft nach Hollerblüten in die Nase, den sie so sehr liebte. Sie kroch unter dem üppig blühenden Strauch hindurch zu dem kleinen Fensterbalken, den Papa zusammengepfuscht hatte, wie Mama immer sagte, als sich Anjas Eltern noch so oft lachend in die Arme gefallen waren. Als alles noch gut war.
    Mit dem großen, etwas verrosteten Nagel, den sie einmal hier zwischen den Steinen der Mauer versteckt hatte, fuhr sie in den Spalt des Fensterladens und schob den Haken, der ihn von innen verschloss, in die Höhe – wie sie es schon öfter getan hatte, ohne es ihren Eltern zu verraten. Denn das sollte allein ihr und Birgits Geheimnis bleiben.
    Nachdem sie wieder hinuntergesprungen war, kletterte sie mit jedem Einkaufssack einzeln und zuletzt mit dem Rucksack erneut hinauf und stellte alles nacheinander in den mit Gerümpel angefüllten Abstellraum, in den die kleine Fensterluke führte, durch die sie sich dann zwängte. Sie war nicht vergittert, da der Vorbesitzer des Hauses die Stäbe herausgenommen hatte. Drinnen zog sie den Balken sofort wieder zu und tastete sich in der Dunkelheit zur Tür vor, um die im Vorraum auf dem Schuhschrank liegendeTaschenlampe zu holen. Sie traute sich den Strom nicht einzuschalten.
    Im Schein der Lampe verstaute sie ihre Einkäufe so, dass sie niemandem auffallen würden; einen Teil davon brachte sie gut getarnt im Keller unter. Ihren Rucksack stopfte sie ganz hinten in Mamas Kleiderschrank. Danach öffnete sie auch noch alle anderen Zimmer und leuchtete hinein – in jedem roch es muffig, denn zu Ostern hatten sie das letzte Mal gelüftet. Da war auch Birgit mit gewesen. Birgit … sofort musste Anja wieder weinen, als sie an ihre Freundin dachte und natürlich an Papa und an das Unfassbare, das sie sofort wieder überwältigte.
    Trotz des Geruchs durfte sie keinen der Fensterläden öffnen, da ihr natürlich klar war, dass man hier im Haus zuallererst nach ihr suchen würde, auch wenn sie keinen Schlüssel mitgenommen hatte. Deshalb lief sie mit der Taschenlampe sogleich unters Dach zu dem großen Schrank, der mit alten Kleidern gefüllt war und in dem sie sich, als Birgit zum ersten Mal mitgekommen war, beim Versteckenspielen so erfolgreich verkrochen hatte. Auch jetzt schlüpfte sie hinter die alten Wintermäntel, die ein so ideales Versteck abgaben.
    Mama … wenn sie nur ihr Handy nicht vergessen hätte! Die Mama wird sich so große Sorgen machen. Sicher hatte die Frau Professor Stelzmann schon bei ihr angerufen. Im Schrank stank es nach den alten Kleidern und Mottenkugeln – unterm Dach war es aber nicht so muffig wie in den ungelüfteten Zimmern. Hier heroben roch es nach warmem Holz … und nach … Staub. Und all das verband Anja mit den großen Sommerferien.
    Nachdem sie den Kasten wieder verlassen hatte, streifte sie neuerlich mit der Taschenlampe durch das finstere Haus, trank in der Küche etwas Wasser und setzte sichauf die Bank beim Fenster, wo sie durch einen Spalt des Balkens nach draußen auf den menschenleeren Kiesweg sehen konnte. Wohin mochte der Mann mit der Pferdeschweiffrisur verschwunden sein, der ihr so weit gefolgt war?
    Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie hier einfach nur so gesessen war, bis ein Auto mit knirschenden Reifen langsam die Kieszufahrt herauffuhr.
    Anja rannte mit klopfendem Herzen unters Dach und verkroch sich in dem Schrank, dessen Tür sie von innen zuzog.
    »Schon wieder frische Spinnweben, Joe … wenn du mich fragst, da ist niemand. Das Durchsuchen könnten wir uns schenken.«
    »Aber sie hat den Schlüssel mitgenommen, Sigi.«
    Sie hatten die Haustür offen gelassen, und Koller schaltete den Strom ein.
    Anjas Puls hämmerte in ihren Schläfen. Sie war sich sofort sicher, dass die beiden Männer, deren Stimmen sie aus dem Vorhaus hörte, von der Polizei waren. Sie war aufgeregt, hatte aber keine Angst vor ihnen. Die hatten mit dem Mann nichts zu tun, der ihr gefolgt war.
    Sie hörte, wie die Zimmertüren

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