Mordsonate
angesehen worden war und ihm nunmehr in kaum zu überbietender Ironie zur Beförderung verholfen hatte. Klar, dass nun gerade jene, die ihn zuvor dieser Entscheidung wegen noch als Volltrottel verhöhnt hatten, in Laber den ausgefuchsten Strategen erkennen zu können glaubten, den man fürchten musste.
Für den Gruppeninspektor Koller jedenfalls war mit dem unerwarteten Ministerrücktritt eine Welt zusammengebrochen. Seine Karriereplanung schien völlig über den Haufen geworfen, denn gut zwei Wochen vorher hatte Koller von seinem Parteifreund, dem Bundesminister höchstpersönlich, per E-Mail die Zusage über seine Übernahme in eine aufzubauende Spezialabteilung erhalten, die im Innenministerium angesiedelt sein sollte. Böse Zungen behaupteten, dass dieser rabiate und an extremem Parteibuchwahn leidende Innenminister daraus so etwas wie eine Privat-Gestapo formen wollte, ein Instrument zur Drangsalierung von Nicht-Parteimitgliedern, eine Anlaufstelle für Denunziationen aller Art. Je rücksichtsloser der Minister seine Macht ausübte, desto stärker wurde sein Wahn, nur noch von Todfeinden umgeben zu sein. Nachdem Erich das alles über Koller erfahren hatte, musste er zugeben, dass er ihm gegenüber seinerseits nun genauso wenig objektiv zu sein vermochte, wie es augenscheinlich umgekehrt der Fall war.
Bei den beiden anderen Mitarbeitern seines Teams schien es sich um durchaus umgängliche Beamte zu handeln,von denen sich Erich auch freundlich empfangen fühlte: Werner »Mühli« Mühlbauer, 42, Kontrollinspektor und Stellvertreter des Chefinspektors. Etwas übergewichtig, verkörperte er schon rein äußerlich den Typ eines gemütlichen, lebensfrohen Menschen, der allen sinnlichen Genüssen gegenüber aufgeschlossen ist, dabei durchaus temperamentvoll. Ein Mann, der ihm schon auf den ersten Blick sehr ähnelte, war in Linz lange Jahre Erichs bester Freund gewesen; dessen früher Krebstod schmerzte ihn immer noch. Schließlich verbanden sie zwölf Dienstjahre und viele Erinnerungen an eine gute, verlässliche Zusammenarbeit. Erich war seltsam berührt, jetzt in Salzburg, Jahre nach dem Tod seines engen Freundes, wieder auf einen solchen Kollegen zu treffen. Werner Mühlbauer begegnete Erich sogleich mit einer Vertrautheit im Umgang, die nicht von Argwohn oder Missgunst entstellt war und deren Herzlichkeit für den Chefinspektor über Leutseligkeit hinauszugehen schien. Auch Mühlbauer verfügte über ein ähnlich lautes, sich nicht zuletzt durchzechten Nächten verdankendes Organ wie Erichs verstorbener Freund, lachte gerne, und es fiel einem leichter, sich ihn in einem Biergarten vorzustellen als am Schreibtisch über den Akten.
Exakt diesem Typ des sich mit größtmöglicher Akribie und Ausdauer in jedes Detail eines noch so umfangreichen Ermittlungsaktes einarbeitenden Beamten wiederum schien der Abteilungsinspektor Hermann Seidl zu entsprechen. Äußerlich unauffällig und angepasst, korrekt gekleidet mit kariertem Sakko und Krawatte, lag es nahe, in ihm sofort den farblosen Staatsdiener alten Zuschnitts zu sehen. Er war blass, und Erich tippte auf ein Magengeschwür. Mit 48 Jahren war er zwar Erichs Generation, aber wahrscheinlich anders sozialisiert als der neue Chefinspektor,der sich beim Gedanken an seine berufliche Zukunft auch während seines Jusstudiums noch als Schlagzeuger in einer Rockband gesehen hatte. Erich hoffte, mit Seidl den beharrlichen Schreibtischarbeiter im Team zu haben, der einen Sachverhalt lieber noch zweimal durchdachte, als sich gedanklich voreilig in eine womöglich falsche Richtung zu bewegen. Er schätzte den Abteilungsinspektor überdies als jemanden ein, dem es zutiefst zuwider war, sich irgendwo vorzudrängen, und der um seine Leistungen vermutlich kein allzu großes Getöse machte. Deshalb dürfte ihn der jüngere Mühlbauer nach Dienstgrad wohl auch überholt haben – wobei Mühlbauer nach Erichs erster Einschätzung eher der Typ war, der seine Beförderung irgendeinem glücklichen Zufall verdankte. Denn wenn er tatsächlich so gestrickt war wie Erichs Freund in Linz, dann mangelte es ihm an jenem Ehrgeiz, mit dem manche Kollegen ihre Karrieren verfolgten, auch wenn sie am Ende nicht selten früher ein ernstes gesundheitliches Problem bekamen als die so verbissen angestrebte Position.
Erich hatte mit Ausnahme Kollers kein schlechtes Gefühl, was die Zufallsgemeinschaft seines Teams anlangte. Und was Koller betraf, so sagte sich der Chefinspektor, solle ihn der
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