Mordsonate
den stürmischen Gefühlen der letzten Tage überdeckt worden war, als sie sich sagte, dass es doch kein Zufall sein konnte, wenn sie der DI kürzlich beiläufig danach gefragt hatte, ob denn mit ihrer Anstellung hier im Haus womöglich etwas nicht ganz in Ordnung gewesen sei. Ob er dazu etwas wissen müsse, da sie ja noch unter seinem Vorgänger eingestellt … sie hatte sich doch nicht verplappert … so schwerelos, wie sie sich gefühlt hatte, und so beschwipst, wie sie gewesen war? Hans hatte, leichthin und nur im Spaß, wie sie geglaubt hatte, einmal wie nebenher gesagt, dass sie beide allein schon deshalb so gut zusammenpassten, weil doch auch über Gerlindes überraschendeAnstellung allerlei Gerüchte herumschwirrten. Nein, sie konnte sich nicht entsinnen, etwas von ihrem Geheimnis preisgegeben zu haben.
Hans würde doch nicht nur hinter diesem Geheimnis her gewesen sein, mit dem bestimmte Leute so sehr unter Druck zu setzen wären, dass sie lieber Hans Wegers Verbleib in der ENAG in Kauf nehmen würden, als …
Gerlinde Brunner hatte es über die Jahre in solchen Selbstquälereien zu einer grausamen Meisterschaft gebracht, indem eine schmerzhafte Einsicht die nächste forderte oder hervorbrachte. War sie schon so vereinsamt, dass sie sich von Hans Weger nicht bloß benutzt fühlte? Süchtig nach seinen Komplimenten und dem Charme, den diesem in der ENAG so ruppig auftretenden Mann, der im Unternehmen von Anfang an die Strategie verfolgt hatte, seine fachliche Inkompetenz durch Unleidlichkeit zu kaschieren, kein Mensch zutrauen würde? So hatten alle im Haus schnell akzeptiert, dass es den Weger gab, dass man aber besser nicht fragte, wozu und warum eigentlich. Weshalb verdarb sie sich jetzt mit solchen Überlegungen den Tag, der so unbeschwert begonnen hatte? Ertrug sie Glück womöglich schwerer als sein Gegenteil? War das auch etwas, das ihr aus ihrer Kindheit geblieben war? Ach was! Was war denn schon dabei, dass Hans, außer sich wegen der Chancen, die sich seiner Tochter offenkundig plötzlich eröffnet hatten, aus dem Haus gestürzt war, ohne ihre neue Frisur zu bemerken oder ihr zu verraten, was er vorhabe? Sie war so überrumpelt gewesen, dass sie nicht einmal dazugekommen war, ihn noch einmal an die heutige Sitzung zu erinnern. Was gäbe sie dafür, ihre Veranlagung los zu werden, auf das Verhalten anderer dermaßen überempfindlich zu reagieren und dieses Verhalten in ihren Gedanken so lange zu umkreisen, bis es ihr nochviel monströser erschien, als es tatsächlich war. Sie genoss es doch, lebte jedes Mal auf, wenn Hans sich lässig auf der Kante ihres Schreibtisches niederließ, um mit einer Büroklammer zu spielen und sogleich zu einer eleganten Bewegung anzusetzen, damit ihm nur ja nicht entging, wie Gerlinde mit mädchenhaftem Schwung und leicht geröteten Wangen die Blumen in die Vase stellte, die er nie mitzubringen vergaß. Auch wenn er sie zu dem Zeitpunkt zu umgarnen begonnen hatte, als im übrigen Vorstand darüber diskutiert wurde, ihn schon vor Ablauf seines Vertrages abzuservieren. Aber all das, was Hans Weger über seine Eheprobleme erzählte, wie er sich über seine Frau beklagte und beteuerte, dass sie beide, die viel zu früh geheiratet hätten, überhaupt nur noch Anjas wegen beisammen seien, das hörte sich doch nicht erfunden an. Und dass er sich in seiner Situation immer auch danach erkundigte, was die da drinnen gerade wieder gegen ihn ausheckten, das war nun wirklich nur normal. Viel verdächtiger wäre es doch gewesen, wenn er so getan hätte, als wäre ihm das gleichgültig, weil es ihm ausschließlich um Gerlinde ging. Nein, gerade dann hätten ihre Alarmglocken läuten müssen.
Er war fünf Jahre jünger – wäre das so schlimm? Und vor allem, wie hinreißend gut dieser Mann doch aussah! Aber Hans hatte sich in den letzten Tagen so stark verändert … war so außer sich … warum, warum nur fühlte sie sich dennoch auf einmal wieder so … verletzt, dass sie zum DI hineinrief, ob sie sich bei Wegers Frau erkundigen solle …? Vielleicht habe er die beiden Sitzungstermine wirklich verschwitzt und sei heimgefahren, weil seine Tochter doch jetzt vor dem großen Wettbewerb stehe.
»Ach ja, die Wunderkind-Platte«, hörte sie ihren Chef unwillig spotten, ehe er meinte, nun, wenn sich Gerlindeschon so um den Vorstandsdirektor sorge, solle sie halt bei der Frau Weger nachfragen.
»Okay«, sagte sie.
»Und, Gerlinde, ist der Spittulini noch in der Leitung?«
»Ja,
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