Mordsonate
Professorin völlig unbeschwert die ersten Worte gewechselt hatte, empfandDr. Erich Laber schon ein erstaunliches Maß an Vertrautheit, eine Nähe, als verbände sie beide eine lange gemeinsame Vergangenheit. Erich sollte diese Überlegung später kaum noch aus dem Kopf bekommen, als er in Gedanken immer wieder die Begegnung mit Vera Stelzmann umkreiste. Und das vielleicht nicht zuletzt auch deshalb, weil die Professorin über die von Erich einmal kurz angehobene schwere Mozartbüste leichthin die Bemerkung hatte fallen lassen, dass es sich dabei im Gegensatz zum Flügel um ihr Privateigentum handle. »Das Geschenk eines Verflossenen aus München … Schwanthaler war ja auch Münchner.« Auch wenn sie dabei weniger an ihre Vergangenheit als an ihre Zukunft denken wolle … Vielleicht war es Einbildung, aber er glaubte ihren Blick schnell über seinen Ringfinger huschen gesehen zu haben.
Die schlanke, aber nicht magere Frau, die ihm in legerem Poloshirt und in einem gewagt gemusterten kurzen Rock gegenübersaß, schätzte Erich auf etwa fünfunddreißig Jahre. Nicht zuletzt ihrer mädchenhaften Art wegen, die von den zahllosen Sommersprossen in ihrem rundlichen Gesicht unterstrichen zu werden schien, wirkte sie noch um einiges jünger.
»Ganz entsetzlich, ja, Birgits Verschwinden!«, sagte die Professorin, von der Erich im Verlauf des Gesprächs noch öfter den Eindruck gewann, dass sie schnell von Null auf Hundert zu kommen pflegte – ohne diplomatisches Abwägen, ob es nicht besser wäre, Emotionen nicht so offen zu zeigen, nicht zu viel von sich preiszugeben. Er ging schon einer seltsamen Profession nach, wenn die Ungezwungenheit dieser Klavierlehrerin eine so bemerkenswerte Ausnahme darstellte. In der Regel löste sein Erscheinen selbst auf einer harmlosen Party bei Menschen, die um seinen Beruf wussten, sofort ein Gefühl der Befangenheitaus. Unter falschen Verdacht geraten zu können, zählte vermutlich zu den Urängsten der Menschen, und sie war, wie Dr. Laber seine jahrelange Erfahrung gelehrt hatte, leider alles andere denn unbegründet.
»Birgit hat die besten Chancen bei diesem Wettbewerb, müssen Sie wissen. Auch wenn gerade aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks immer wieder unglaubliche Talente auftauchen. Aber Birgit bringt so viel natürliche Begabung für die Musik mit … all das, worauf es wirklich ankommt in der Kunst. Auch in der reproduzierenden. Und ich sage das bewusst als leidenschaftliche Lehrerin: Das, worum es letztlich geht, ist immer nur das, was man nicht lernen kann, verstehen Sie.« Kunst fange wahrscheinlich überhaupt erst bei dem an, was man nicht lernen könne – und sie wolle damit keinesfalls dem Geniebegriff der Romantik das Wort reden. »Genau das hebt Birgit heraus!«
Der sympathischen Frau jetzt nicht sagen zu können, dass das Mädchen leider nicht mehr lebte, empfand Erich wie eine belastende private Unaufrichtigkeit. Schnell wollte er davon ablenken und fragte: »Wie kommt ein Kind hierher an die Musikuniversität?«
»Über die privaten Klavierlehrer. Dem von Birgit und Anja ist das hoch anzurechnen. Er verlor mit der einen eine Hochbegabte und mit der anderen eine sehr gute Schülerin. Und natürlich Einkommen. Ich kenne das nur zu gut – ich habe in München lange Jahre dasselbe gemacht, bis ich glücklicherweise diese Stelle bekommen habe. Um in den Vorbereitungslehrgang aufgenommen zu werden, müssen die Kinder, die ja noch kein Abi, also Matura haben und deshalb als außerordentliche Studenten aufgenommen werden, vor einer Kommission eine Zulassungsprüfung ablegen.«
»Und Herr Weger war bei Ihnen –«
»Ja. Ich mache mir inzwischen Vorwürfe, dass ich da gleich angerufen … aber ich hatte so eine Wut, wie sich der wieder aufgeführt hat. Ich kann mit diesem Menschen wenig anfangen – noch weniger mit seiner Partei. Aber ich wollte ihn nicht in falschen Verdacht bringen. Er war halt so felsenfest davon überzeugt, dass Birgit nicht mehr auftauchen würde.«
»Anja profitiert am meisten vom Verschwinden von Birgit?«
»Ja, sicher. Nur, Anja ist ein liebes Mädchen, und sie spielt sehr gut, aber mit Birgit ist sie nicht zu vergleichen. Das ist das, was ich vorher gemeint habe.« Die Frau sah Erich an, als habe sie erst jetzt verstanden, worauf er hinaus wollte. »Sie glauben doch nicht, dass Herr Weger etwas damit – nein, das kann ich mir … ich … aber man kann in keinen Menschen hineinschauen. Und dem Herrn Vorstandsdirektor ist der Wettbewerb,
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