Mordsonate
Mädchen nicht rechtzeitig wieder zurückkommt? Vom Finger kann er doch nichts wissen, sofern er nichts damit zu tun hat.«
»Da bin ich nicht wirklich schlau geworden aus dem Mann. Alles ist möglich – dass er etwas weiß, die Professorin unter Druck setzen wollte oder sich die Teilnahme seiner Tochter einfach so sehr wünscht, dass er die Realität ausblendet. Bei einem Telefonat ist das natürlich noch schwerer abzuschätzen.«
»Natürlich«, sagte Erich. »Aber den Herrn werden wir bestimmt noch persönlich sprechen.«
Mühlbauer hatte soeben die Tür hinter sich geschlossen, als Eric Claptons
I Shot The Sheriff
den Chefinspektor nach seinem Handy greifen ließ. Er erfuhr von Harlander, dass Frau Professor Stelzmann leider nur während ihrer Mittagspause Zeit habe. »Soll ich Sie fahren, Chef, oder …«
»Nein, nein, nicht nötig, ich nehme das Fahrrad«, entgegnete Erich schnell, da unschwer zu bemerken war, dass der Revierinspektor lieber nicht auf sein Mittagessen verzichten wollte. Bei dem Wetter, dachte Erich, wäre er eigentlich auch lieber auf der Terrasse des Polizeirestaurantsbeim Rostbraten gesessen, als sich mit einer womöglich sauertöpfischen Klavierlehrerin zu unterhalten.
Er war schon aufgestanden und in sein Blouson geschlüpft, als nach kurzem Klopfen Koller ins Büro trat.
»Nichts«, würgte der Gruppeninspektor widerwillig hervor. »Den Kindern und den Lehrpersonen ist nichts von einem Juckpulver bekannt.«
»Auch in den anderen Klassen?«
»Natürlich war ich auch in den anderen Klassen«, versetzte Koller so gereizt, als würde er auf einen Vorwurf reagieren. »Nichts. Aber es kann auch auf dem Heimweg passiert sein. Und alle Schulkinder in der Stadt werden wir doch kaum –«
»Nein, natürlich nicht«, versetzte Erich kühler, als er es vorgehabt hatte.
Koller sah an seinem Vorgesetzten, der zwar ein versöhnlicheres Gesicht machte, als er ihm zunickte, sich aber den Dank für den Bericht verbiss, den er schon auf den Lippen gehabt hatte, haarscharf vorbei. Obwohl der Gruppeninspektor den Eindruck erweckte, dass ihn eine Freundlichkeit von seiner Seite mehr irritiert hätte, als dass er sie erwartete, ärgerte Erich sich über sein eigenes Verhalten. Als Koller sich mit einem angedeuteten Nicken zur Tür wandte, rief ihm sein Chef nach: »Herr Kollege, versuchen Sie doch bitte möglichst viel zur Person Hans Weger zusammenzutragen. Berufliches Umfeld, private Situation und so weiter. Möglichst viel, aus dem ersichtlich wird, wie der Mann tickt. Was ihm allenfalls zuzutrauen wäre.«
Der Gruppeninspektor murmelte ein Ja und verließ das Büro.
Wie um sich selbst zu bestrafen, dachte Erich auf dem Weg ins Mozarteum daran, dass er die Benachrichtigung von Birgits Eltern nicht mehr allzu lange hinausschiebenkönne. Vorerst war die Geheimhaltung noch mit den Ermittlungen zu rechtfertigen, denn es war abzusehen, welches Medienecho der Fund des abgehackten Fingers eines vermissten Klavierwunderkindes auslösen würde – in einer Stadt, in der ein paar Lacktränen auf einem Denkmal solche Aufregung hervorriefen! Nein, vorerst würde es nicht schaden, wenn der Täter – an eine Täterin glaubte Erich nicht – davon ausging, dass der Finger gar nicht gefunden worden war. Wie leicht hätte der fleischige kleine Knochen doch von einem streunenden Hund verspeist worden sein können. Oder war der Täter in der Nähe gewesen? Wo hätte er dies unauffälliger tun können als vor dem Bahnhof! War das der Grund für die Wahl des Ortes? Aber der Chefinspektor glaubte fest daran, dass es bei dem Finger um Kommunikation ging. Und dass weitere Finger folgen würden, wahrscheinlich alle zehn.
Kaum dass Erich das schöne Zimmer der Klavierlehrerin im Mozarteum betreten und den glänzenden schwarzen Flügel bewundert und seine Hand über die schwere Mozartbüste hatte gleiten lassen, bei der es sich um eine Nachbildung des Kopfes genau jenes Schwanthaler-Monuments vom Mozartplatz handelte, das kürzlich so öffentlichkeitswirksam zu weinen angefangen hatte, kaum dass er mit der Frau, die sich dafür entschuldigte, während der Unterhaltung mit dem Herrn Chefinspektor – »Bei uns in Bayern hat man mit Kommissaren zu tun, wenn man überhaupt mit ihnen zu tun hat!« – ihr aus Salat und Joghurt bestehendes Mittagessen einzunehmen, da sie nicht ins Mensarestaurant hinuntergehen wolle, und dem Besucher somit leider nur Granatapfelsaft im Plastikbecher anbieten könne, kaum dass er also mit der
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