Mordsonate
abstürze. Stell dir doch einmal vor, wie das gehen soll? Wie soll ein Vorstandsdirektor von heute auf morgen wieder Autos verkaufen? Womöglich einem ENAG-Lehrling in den Arsch kriechen, nur dass er eine gebrauchte Karre nimmt! Oder mich demütigt und am Ende sagt, ach, ich schau mich doch noch woanders um. Als Vorstandsdirektor konnte ich doch auchnicht immer zu allen Leuten in der ENAG nur nett sein, verstehst du? Ganz im Gegenteil, sonst scheißen die dir sofort auf den Kopf. Ich weiß doch selber zu genau, dass ich von dieser Branche keine Ahnung habe. Aber auch der Gutensohn hat nicht die geringste Ahnung und ist sozusagen das offizielle Gesicht der ENAG, hält es ständig überall in die Kamera. Weil ihn seine Partei halt da hingesetzt hat. In Wahrheit, Petra, in Wahrheit kennt sich nur der Himmelsauer aus. So wenig, wie ich den Typen mag. Nein, Petra, es ist so furchtbar, sich das alles vorstellen zu müssen. Denn wegziehen, in eine andere Stadt, das können wir Anja doch nicht antun! Hier hat sie das Mozarteum, die idealen Voraussetzungen. Sie ist doch so talentiert, Petra. Wir müssen sie unterstützen. Damit ihr einmal die ganze Scheiße erspart bleibt …« Er hatte geweint wie ein Kind, bevor er schließlich gemeint hatte: »Alles, Petra, einfach alles müssen wir für Anja tun!« Petra hatte ein ungutes Gefühl, wenn sie an diese nächtliche Szene dachte und an Hans’ Euphorie, seit Birgit verschwunden war. Sie wollte so etwas gar nicht denken und tat es doch in einem fort: Hans, ihr Mann, Anjas Vater – er hatte doch nicht womöglich irgendetwas mit Birgits Verschwinden zu tun? Was für eine Blamage für Anja, wenn das herauskäme: Der Vater der Zweitgereihten entführt und versteckt die Favoritin, nur damit die eigene Tochter … was für eine unvorstellbare Schande für die ganze Familie!
Aber warum, warum nur verlässt er genau jetzt ohne Angabe von Gründen ständig das Büro und versäumt wichtige Sitzungen, warum denn nur? Wo er ohnehin so unter Druck steht. Warum macht er denn so etwas? Bitte, bitte nicht deswegen, flehte die Frau, für die ihr Mann nach seinem Auftritt vorhin noch unheimlicher geworden war. Und obschon es warm war in der großen, hellenWohnküche, sah Petra Weger, als sie nach einem Taschentuch griff, dass ihre nackten Unterarme von einer Gänsehaut überzogen waren.
Erich streckte sich mit am Hinterkopf verhakten Fingern, während aus seinen kleinen, leistungsstarken Boxen, die er schon an seinem zweiten Arbeitstag an seinen Dienst-PC im LKA angeschlossen, bis jetzt aber noch nicht benutzt hatte, von einem YouTube-Video der Sound von Led Zeppelin dröhnte. Obwohl er davon ausgehen konnte, dass man hier auch von dieser Marotte schon wusste, klickte er, als Mühlbauer das Büro betrat, den Ton weg und stellte fest: »Meine bewährte Nachdenkhilfe.« Und er sagte es so, dass auch nicht der Hauch einer Rechtfertigung darin lag.
»Der Weger geistert offenbar ständig irgendwo herum und schaltet auch sein Handy gerne aus … so ein Vorstandsdirektor kann sich anscheinend ein schönes Leben machen, von unseren Steuergeldern. Ich habe ihn dann aber doch erreicht«, sagte Mühlbauer und ließ sich in einen der Besprechungsstühle fallen. »Das konnte er sehr leicht erklären, wie er von der Abgängigkeit des Mädchens erfahren hatte: Herr Aberger habe bei Frau Weger angerufen, ob Birgit noch bei Anja sei. Er selber, sagt er, sei zu dem Zeitpunkt, als Birgit verschwunden ist, noch im Büro gewesen. Ohne dafür Zeugen benennen zu können. Aber seine Frau habe ihn dort am Festnetz angerufen. Am nächsten Tag ist er sofort zur Professorin gegangen. Um Pietät kümmert der sich offenbar nicht. Am Telefon wirkte er sehr ruppig, hat auch ein bisschen geschnauft – wer weiß, wobei ich den Herrn Vorstandsdirektor da in seiner hoch bezahlten Dienstzeit in Wahrheit gestört habe«, sagte Mühlbauer und grinste.
»Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?«, fragte Erich, der bei seinem Stellvertreter das förmliche Sie gerne schon durch ein Du ersetzt hätte.
»Stark unter Druck, Chef. Andererseits, seine Tochter ist nun einmal die Zweitgereihte, da hat er wohl Recht, dass für den Fall der Fälle möglichst bald mit den Vorbereitungen angefangen werden muss. Auf den Wettbewerb ist er jedenfalls total scharf. Der ist ehrgeizig wie eine Eislaufmutter, wenn Sie mich fragen.«
Erich nickte. »Aber warum hat er sich der Professorin gegenüber so sicher gezeigt, dass das verschwundene
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