Mordsonate
hier entfernt. Er ist der Streife aufgefallen, weil er in Schlangenlinie die Alpenstraße stadtauswärts gefahren ist.«
»Wissen Sie zufällig die genaue Zeit?«
»Ja, Chef. Halb drei Uhr früh!«
»Danke. Ich überlege gerade –«
»Ob er vorher den Finger deponiert hat?«
Erich nickte.
»Daran habe ich auch sofort gedacht. Könnte sein, nicht?«
»Zeitlich würde es passen.«
»Vielleicht hat er sich dafür Mut angetrunken, Chef?«
»Ich weiß nicht … dann wäre er vielleicht unvorsichtiger gewesen und womöglich dabei gesehen worden.«
Er hatte den Gedanken noch nicht ausgesprochen, da dachte Erich schon daran, dass der Mann vielleicht tatsächlich dabei zugeschaut hatte, wie der Daumen auf der Stufe des Landestheaters von dem Pensionistenpaar entdeckt wurde.
»Er wird uns jetzt nicht davonlaufen, denke ich?«
»Nein, der schläft bestimmt erst einmal seinen Rausch aus.«
»Ach, übrigens, Chef«, sagte er etwas leiser.
»Ja?«
»Die machen Ernst, die sägen den Burschen ab, in der ENAG. Die haben sofort grünes Licht gegeben, was die Presseinfo betrifft. Sie müssen wissen, dass solche Delikte im politischen Umfeld im Land Salzburg unter der Decke gehalten werden … Sie verstehen. Wir leben immerhin in einem Bundesland, wo es für bestimmte Jobs fast schon eine Voraussetzung ist, stockbesoffen im Auto herumzufahren. Landtagspräsident werden Sie in Salzburg nur mit mindestens 1,5 Promille.«
Mühlbauer lachte und Erich fiel sofort in das Lachen seines Stellvertreters ein.
»Aber klären Sie bitte zur Sicherheit, ob der Mann daheim ist.«
»Okay.«
Es dauerte nicht lange und der übergewichtige Kontrollinspektor stand schnaufend wieder in Erichs Büro.
»Was?« rief Erich. »Das ist doch kaum –«
»Doch. Ich hab seine Frau erreicht. Er ist schon wieder irgendwo unterwegs. Sie weiß sich auch nicht mehr zu helfen. Sie klang ziemlich mitgenommen. Sie sagt, dieProbleme in der ENAG hätten ihn total verändert. Journalisten seien auch schon vor der Tür gestanden. Übrigens, ich hab gleich angerufen – in seinem Büro ist er nicht aufgetaucht.«
Erich überlegte – nein, unmöglich. Nach dem, was bisher vorlag, könnten sie den Vorstandsdirektor keinesfalls zur Fahndung ausschreiben.
»Na, wir kriegen ihn schon noch.«
»Das würde ich meinen, Chef.«
»Danke. Auch für die Abklärung.« Mühlbauer hatte zur Sicherheit im Strafregister nachgesehen. Wie nicht anders zu erwarten, schien Hans Weger dort nicht auf.
Nach einem zu schweren Mittagessen vermochte sich der Chefinspektor kaum noch auf den Beinen zu halten und ließ sich von Mühlbauer nach Hause fahren, wo er sofort ins Bett fiel …
4
Revierinspektor Josef Harlander saß schweigend am Steuer, als der Wagen einige hundert Meter vor dem Künstlerhaus in den Stau geriet. Nachdem ihm sogleich nach dem Einsteigen – das Fahrzeug war mehrere Stunden lang in der prallen Sonne gestanden – der Schweiß ausgebrochen war, hatte Harlander die Klimaanlage auf höchste Stufe gestellt, weshalb Erich auf dem Beifahrersitz inzwischen schon fröstelte. Bedrückt sah er nach draußen. Das übliche Leben in der Stadt an einem frühen Freitagabend. Die Leute warteten an den Bushaltestellen, um ihre Einkäufe nach Hause zu schaffen. Hier in den Bus zu steigen und sich auf das Wochenende zu freuen oder sich bald inEhestreitigkeiten verstrickt zu sehen, Ärger mit den Kindern zu haben oder Freude darüber, dass eine gefürchtete Schularbeit doch gut ausgegangen war, das war das normale Leben. Nur sie beide waren in einer außergewöhnlichen Mission unterwegs, und irgendwo in der Kolonne würde eine Psychologin der Krisenintervention folgen, mit der Erich gerade noch telefoniert hatte. Wie ihm solche Aufgaben an die Nieren gingen! Und dennoch gehörte sein Beruf zum Leben genauso wie der des Notarztes, des Unfallchirurgen oder des Krebsspezialisten, sosehr sich begreiflicherweise jeder Mensch wünschte, nie mit einem von ihnen zu tun zu bekommen.
Für den Chefinspektor hatte es nie einen Zweifel gegeben, nun lag aber das offizielle Untersuchungsergebnis endlich vor: Alle drei Finger, die bislang aufgefunden worden waren, stammten von der toten Birgit Aberger. Sie waren mit dieser Nachricht zu den Eltern des Mädchens unterwegs – und der Stau erwies sich als willkommener Aufschub dieser schrecklichen Aufgabe.
Mit Menschen in Ausnahmesituationen zu tun zu haben, zählte zu jenen Belastungen seines Berufes, die Erich all die Jahre hindurch
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