Mordsonate
Hinweis zu finden wäre, dass Weger schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Erich hatte Koller dann doch noch persönlich in die ENAG geschickt – der Vorstandsdirektor sei schon mehrere Tage nicht mehr im Büro erschienen, habe aber inzwischen eine Woche Urlaub beantragt. »Per SMS an seine Ersatzsekretärin.«
Nach diesem mündlichen Bericht machte sich Gruppeninspektor Koller an die schriftliche Ausfertigung. Er wirkte kleinlauter, verzagter, seit seine Mutter im Spital war. Dennoch bezeichne er im Kollegenkreis Harlander weiterhin hartnäckig als Labers Blindenhund, wie Erich nun auch von Mühlbauer erfahren hatte, als dieser ihm entnervt berichtete, dass er diesem Weger jetzt schon zum x-ten Mal auf die Mobilbox seines abgeschalteten Handysgesprochen habe, sich ganz dringend für eine Befragung zum Fall Birgit Aberger im Landeskriminalamt zu melden. Bisher ohne jede Reaktion.
Aber die Verdachtslage ließ keine offizielle Fahndung nach dem Mann zu. Mühlbauer erriet sofort, wozu der Chefinspektor ansetzte – klar, das habe er in die Wege geleitet, die Polizeistreifen würden die Augen offen halten.
Erich rief Seidl am Handy an und erfuhr von dem Abteilungsinspektor, dass er mit größter Wahrscheinlichkeit für länger ausfallen werde: »Morgen werde ich am Magen operiert, Chef.«
2
Nachdem Hörfunk und Fernsehen gestern Abend aus Anlass der Pressekonferenz bereits ausgiebig über den Fall berichtet hatten, machten heute sämtliche regionalen Zeitungen groß damit auf, dass Finger der abgängigen und nachweislich ermordeten Birgit Aberger gefunden worden waren. Obwohl kein einziges Originalfoto an die Presse weitergegeben worden war, illustrierten alle Blätter ihre Geschichten mit Bildern von abgetrennten, teils bluttriefenden Kinderfingern. Auch die überregionalen Blätter widmeten dem Fall breiten Raum in ihren Chronikteilen. Der Boulevard hatte die Geschichte wie alle Salzburger Zeitungen auf den Titelseiten.
Dr. Erich Laber spielte zur Begleitung für seine ausgedehnte Zeitungslektüre im Büro YouTube-Videos von seinem Lieblingsgitarristen Scott Henderson ab. Dessen Virtuosität stimmte ihn auch heute wieder zuversichtlicher – etwas, das er nötiger hatte denn je. Als er sich nach demFrühstück auf den Weg in den Waschraum machen wollte, stellte er fest, dass die Reinigungsfrau gestern beim Staubsaugen die Ladestation für seine elektrische Zahnbürste ausgesteckt haben musste.
Da Weger für eine Befragung noch immer nicht zur Verfügung stand, widmete sich der Chefinspektor den restlichen Vormittag dem, was man gemeinhin als Papierkram bezeichnete; wobei es ihm durchaus eine gewisse Befriedigung bereitete, ein Schriftstück nach dem anderen durchzuarbeiten. Zur Not, sagte er sich, könnte er, wenn das hier wirklich schiefgehen sollte, weil sich der Fall als unlösbar erwies, sich auch vorstellen, als Polizeijurist in den Innendienst zu wechseln.
Für Mittag kaufte er ein paar Tramezzini und Granatapfelsaft, den Vera so sehr mochte, um eine Art Picknick im Mirabellgarten zu veranstalten, da Vera für ein längeres Treffen leider keine Zeit habe, wie sie ihn am Telefon wissen ließ.
Was für eine Wohltat, dieses herrliche Wetter mit Vera Stelzmann gemeinsam genießen zu dürfen! Wenn nur die Angst nicht gewesen wäre vor dem Fund des nächsten Fingers.
Vera war heute noch gar nicht dazugekommen, eine Zeitung durchzublättern, und gestern Abend zu erschöpft gewesen, um ihren Fernseher einzuschalten. Erich, der so sehr von diesem Fall gefangen genommen war, war erleichtert: Es starrten also nicht alle Menschen in diesem Land ausschließlich auf die Berichterstattung über dieses Verbrechen, dessen rasche Aufklärung sie erwarteten.
Vera erzählte ihm, dass die Vorbereitungen von Anja Weger trotz der furchtbaren Begleitumstände ganz gut vorangingen, weil das Mädchen sehr diszipliniert sei. Nachdem sie fertig gegessen und den Saft getrunken hatten,saßen sie knutschend und schmusend wie zwei Teenager auf einer Bank. Zwischendurch fragte Erich, ob Vera sich vorstellen könne, irgendwann bei ihm einzuziehen. »Einhundertdreißig Quadratmeter für einen alleinstehenden Herrn –«
» … rufen geradezu nach einer alleinstehenden Dame!«
Vera küsste ihn, sah ihm in die Augen und nickte.
Gerlinde war gerade aus der Kantine ins Büro zurückgekehrt, hatte ihre Handtasche abgestellt, einen Blick in den kleinen Taschenspiegel geworfen und noch im Stehen ihre Lippen nachgezogen, als
Weitere Kostenlose Bücher