Mordsonate
Aberger hatte noch kein Wort gesprochen. Und Peter wusste nur, dass er nicht weiter wusste … er hatte sein Telefon nicht mit … sie brauchten Hilfe … Hilfe! Ganz dringend!
In ihrem Zustand konnte er Anna doch nicht einfach wieder mit nach Hause nehmen … sie musste behandelt werden. Das war doch … ein Nervenzusammenbruch! Er weinte jetzt einfach vor sich hin, da sagte Anna plötzlich, dass sie ja in die Kirche gehen wollte … sie wisse überhaupt nicht, wie sie hierher gekommen sei. »Leiden hat sie nicht müssen, Peter. Zumindest hat sie nicht leiden müssen …« Wie oft hatten sie einander diesen Satz schon vorgesagt!
Er hörte jetzt das Geräusch von Rollschuhen und sah, wie das Nachbarmädchen in einiger Entfernung seine Fahrt stoppte und verlegen zu ihnen in den Tunnel spähte.
»Gleich, Anna, gleich kommt wer … und hilft uns«, sagte Peter so begütigend wie möglich und erhob sich von dem staubigen Boden. Er ging zu dem Mädchen und bat es, noch einmal heimzufahren, damit seine Eltern die Rettung anriefen, weil er sein Handy nicht mitgenommen habe. »Es geht um einen Nervenzusammenbruch, die Rettung soll bitte gleich direkt hierher kommen. Ein Nervenzusammenbruch, sagst du das deinen Eltern, ja? Vielen Dank. Ich danke dir.«
Das Kind nickte, blieb noch kurz wie erstarrt vor Peter stehen, um dann plötzlich so schnell wie möglich aufseinen Rollerblades über den leeren Parkplatz davonzulaufen.
Was hatten sie nur verbrochen? Erst viel später, als sich bei Anna im Zuge ihrer Behandlung in der Christian-Doppler-Klinik, wo sie Peter, zermürbt und abgemagert – er aß wenig, rauchte viel zuviel –, täglich nach Büroschluss besuchte, langsam eine erkennbare Besserung einstellte, wurde ihm, dessen Gedanken ständig um das kreisten, was ihrem Kind angetan worden war, erst klar, dass einem so etwas widerfahren konnte, ohne dass man darin eine Strafe sehen musste. Auch sein Hausarzt, von dem er sich Stimmungsaufheller verschreiben ließ, um überhaupt noch zur Arbeit gehen zu können, bestärkte ihn darin, dass alles, was sie jemals in ihrem Leben falsch gemacht haben mochten, doch nie eine solche Strafe rechtfertigen würde. Das zerstörerischste und grauenvollste Leiden, dem Eltern ausgeliefert sein konnten.
Dritter Satz
Und jetzt weint er ja auch gar nicht mehr, Mama. Weil das doch auch … Mama, du weißt, dass das ein ganz großes Kunstwerk ist. Und dabei muss ich geduldig sein, bis ich als Schöpfer hervortreten darf. Denn es gehört ja zu so einem Meisterwerk, dass es nicht sofort in seiner ganzen Genialität erkannt wird. Und dabei, Mama, was für eine Komposition! Es ist mein Kunstwerk, für dich, Mama. Sie wird uns jedenfalls nie wieder auseinanderbringen, Mama, nie wieder. Niemals mehr wird so etwas … der Bello in einem Müllsack, Mama, warum, warum nur? Aber jetzt sind wir wieder gut, Mama! Du kannst so stolz sein auf mich. Und ich habe das nur für dich geschaffen, Mama, das Kunstwerk! Du erinnerst dich, wie oft du gesagt hast, die Welt braucht endlich Fingerzeige, damit sie ein Genie erkenne … Fingerzeige, Mama
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1
Der Montag schien dem Chefinspektor geradezu unter den Füßen davonzurennen: Zuerst erteilte er Mühlberger den Auftrag, Veras Ex-Lebensgefährten in München von den dortigen Kollegen überprüfen zu lassen und danach mit Koller und Harlander im Mozarteum die Studenten wegen des Kapuzenmann-Fotos zu befragen. »Und ja, Kollege Mühlbauer, bitte fragen Sie gelegentlich nach, wie es um den Abteilungsinspektor Seidl steht, der beginnt uns zu fehlen.« Dann verband er seinen längst fälligen Antrittsbesuch bei der für den Fall zuständigen Staatsanwältin mit einer persönlichen Besprechung – die Frau erstickte regelrecht unter ihren Akten und versicherte Erich nun auch von Angesicht zu Angesicht, ihm bei allen gewünschten Ermittlungsaufträgen einen großen Vertrauensvorschuss entgegenbringen zu wollen – sie habe sonst überhaupt keine Chance, ihre Arbeit halbwegs zu bewältigen, da die Staatsanwaltschaft skandalös unterbesetzt sei. Die Protokolle zu den Fingerfunden der abgängigen Birgit Aberger habe sie gelesen und sehe den weiteren schriftlichen Berichten entgegen – der AB-Bogen sei natürlich längst bei Gericht.
Der Jurist Dr. Erich Laber hielt sich nicht für einen Schreibtischmenschen, hatte aber überhaupt keine Probleme mit all den Einträgen in die verschiedenen Register, die so ein Akt durchlief, nachdem die Staatsanwältin den Anordnungs- und
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