Mordsonate
gemacht.«
»Weger selber ist natürlich noch nicht aufgetaucht?«
»Nein, Chef. Sein Handy hat er ausgeschaltet. Ich habe ihm wiederholt auf die Mobilbox gesprochen, dass er dringend wieder bei uns erscheinen soll. Ich glaube, der kommt abends oder nachts sowieso wieder in die Wohnung zurück. Sollen der Sigi und ich ihn dann vor dem Haus in Empfang nehmen?«
Erich überlegte kurz, bevor er nickte. »Ja. Aber vielleicht erreichen wir ihn doch vorher noch. Der Ford Transit hat jetzt allerhöchste Priorität. Wir brauchen die Ergebnisse so schnell wie möglich.«
»Habe ich schon im Voraus in Ihrem Namen genau so weitergegeben, Chef«, sagte Harlander mit einem breiten Grinsen.
»Solche Mitarbeiter lobe ich mir«, erwiderte Erich schmunzelnd. »Jetzt fehlt uns nur noch ein Foto des Vorstandsdirektors Weger –«
»Da schaue ich sofort ins Internet, Chef. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der darin ausreichend vorkommt.«
»Sehr gut. Wenn Mühlbauer und Koller zurück sind, könnt ihr euch in der Nachbarschaft des Fundorts des Kastenwagens umhören, ob jemand dabei beobachtet wurde, wie er den Wagen abgestellt hat. Muss ja nicht Weger selbst gewesen sein, wenn er wirklich gestohlen wurde. Was allerdings schon ein merkwürdiger Zufall wäre. Und vor allem, wie lange der Transporter dort schon gestanden ist.«
»Alles klar, Chef.«
Es dauerte nicht lange und Harlander kam strahlend zurück: Er schwenkte ein Porträt und ein Ganzkörperfoto von Hans Weger. »Natürlich hat der eine Homepage, mit üppiger Galerie. Alles in diesem penetranten Orange seiner Partei. Mühli und Sigi werden mit Frau Weger bald zurück sein. Dann starten wir gleich los.«
»Ausgezeichnet.«
Als Erich wieder allein war, kreisten seine Überlegungen einmal mehr um Hans Weger. Hatte der womöglich Birgit Abergers Finger hinterlegt, um beim Chefinspektor genau die Reaktion hervorzurufen, dass eine solche Inszenierung nicht zu jemandem wie ihm passe? Spielte ihm die Aversion gegen den Mann einen Streich? Unterschätzteer ihn nicht maßlos? Seine kurze Begegnung mit Weger konnte doch nicht ausreichen, dessen Persönlichkeit so genau zu erfassen, um all das auszuschließen, was er jetzt schon ausschloss? Sollte er eine kriminalpsychologische Untersuchung beantragen, um festzustellen, wie der Mann tatsächlich tickte?
Sooft Erich auch in dem anwachsenden Akt blätterte, er vermochte einfach keine Anhaltspunkte zu entdecken, in welche andere Richtung bei derzeitigem Wissensstand ermittelt werden könnte. Immer öfter dachte er an einen sexuellen Hintergrund – aber auch dann machte es keinen Sinn, jemandem die Finger abzuhacken … oder verschaffte gerade das dem Täter eine besondere Form der Lust … diese flinken, kleinen Finger? War das nicht ein Zeichen der Macht, die er über ein hilfloses Kind ausübte? Handelte es sich um eine Spielform von Nekrophilie, in einer Zeit, in der alle Intimitäten nicht nur von Medien in die Öffentlichkeit gezerrt, sondern von den Betroffenen selbst schamlos ausgestellt wurden? Dr. Erich Laber war sich sehr wohl bewusst, dass immer neue Ausformungen von Perversion bekannt wurden … aber in der Regel war bei Sexualverbrechen an Kindern das nähere oder weitere familiäre Umfeld beteiligt … gab es in der Familie Aberger einen Onkel oder engen Freund?
Hatte sich ein Kinderpornoproduzent einfach ein hübsches zehnjähriges Mädchen bestellt? Oder hatten Birgits Fernsehauftritt und die bebilderten Presseberichte pädophile Begehrlichkeiten geweckt? Ging es eben nicht nur um irgendeine süße Zehnjährige, sondern um genau dieses Kind? Erhöhte sein gerade aufflammender Ruhm den Reiz, sich an ihm zu vergehen? So viele Varianten der Chefinspektor auch bedachte, immer wieder kam er auf seine ursprüngliche These zurück, dass das Hinterlegender Finger eine Form der Kommunikation des Täters darstellte, der damit eine aus seiner Sicht plausible Mitteilung machte.
Dr. Laber trat an den großen Stadtplan, den Harlander ihm besorgt und auf der Magnettafel befestigt hatte. Mit einem Plakatmarker umkreiste er die drei bisherigen Fundstellen: Landestheater, Veras Wohnung in der Sparkassenstraße und der Bahnhofsvorplatz. Sosehr er sich auch anstrengte, er vermochte aus diesen Fundorten einfach nichts herauszulesen. Auch wenn er sie gedanklich durch Linien verband – die geometrische Figur, die daraus entstand, verriet ihm genauso wenig. Aus Platzgründen schrieb er nur die Anfangsbuchstaben der Fundorte dazu
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