Mordspech (German Edition)
dachte, er hat ein Angstsyndrom oder so etwas.«
Ja, so kenne ich Siggi. Der faselt ganz gern, hat er wohl bei der Stasi gelernt. Zermürbe deine Zuhörer, bis du sie am Ohr zu fassen kriegst. Oder so ähnlich.
»Erst als er plötzlich bei mir zu Hause auftauchte, habe ich gemerkt, dass es mehr war. Mehr als ein Angstsyndrom. Mehr als eine psychische Störung. Dass er wirklich Probleme hatte.«
»Woran haben Sie das erkannt?«
»Er sagte, dass sein Auto explodiert sei. Eine Bombe, mit der sie ihn warnen wollten. Er sollte sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen.«
»Wobei?«
»Es ging ums Geld.« Susanne Baier seufzte. »Um Profit für eine bessere Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sozial ist, hilfsbereit. Die nicht allein dem Götzen des finanziellen Mehrwerts verpflichtet ist. In der jeder nach seinen Bedürfnissen leben kann und nach seinen Fähigkeiten.«
Marx, denke ich. Der Spruch ist von Karl Marx. Siggi zitiert ihn ganz gern. Und allmählich bekommt die Sache auch einen Sinn. Denn Siggi war zuletzt beim MfS für die Finanzen zuständig gewesen. Deshalb ist er vor sieben Jahren verurteilt worden. Weil er Stasigelder auf die Seite gebracht hatte. Gelder in Millionenhöhe, die er, wie er immer betonte, nicht für sich selbst beanspruchte, sondern die finanzielle Reserve sein sollten für einen neuerlichen Aufbau des Sozialismus in unserem nun wiedervereinigten Land. Ja, der Kerl war schon immer ziemlich irre. Total irre. Wahrscheinlich hängt Monika deshalb so an ihm. Trotz Scheidung. Irgendwie gehört er zur Familie.
»Er hat versucht, seine Leute unterzubringen«, erzählt Susanne Baier weiter. »Und als die Russen diese unterirdische Bunkeranlage im Oderbruch aufgaben, sah er auch da eine Gelegenheit, ein paar alte Genossen zu beschäftigen. Er wollte so viel wie möglich unter Kontrolle bringen, selbst wenn es nur ein oller Bunker im Oderbruch war.«
Altgrieben, denke ich. »Wusste er, was das für ein Bunker war?«
»Irgendwann schon«, antwortete Susanne Baier. »Spätestens als der Iraker auftauchte und bereit war, für die im Bunker gelagerten Stoffe sehr viel Geld zu bezahlen.«
»Und dann?«
»Für ihn und seine alten Genossen gibt es in der freien Marktwirtschaft keinen Anstand und keine Gesetze mehr. Das Ende der DDR war auch das Ende der Skrupel. Meyer hat darunter sehr gelitten.«
Ja. Wie oft habe ich mit ihm darüber in alkoholseligen Nächten debattiert. Wir im Westen waren für ihn immer das rückständige System. Eine alte, korrupte, gesetzlose Gesellschaft, in der nur erfolgreich ist, wer Geld hat.
»Selbst seine alten Genossen vergaßen ihre sozialistischen Moralkategorien«, erzählt Susanne Baier weiter. »Irgendwann haben sie sich gefragt: Was machen wir jetzt mit dem Zeug in dem Bunker? Und da kann die einzige Antwort in einer freien Marktwirtschaft nur lauten: Gibt es einen Markt für das Produkt? Und wenn ja, was kann man damit verdienen? Da kam der Iraker gerade recht.«
Frei nach Brecht, denke ich, erst kommt das Fressen, dann die Moral. Warum das Zeug im Bunker vergammeln lassen, wenn sich doch über alte Verbindungen solvente Abnehmer dafür finden lassen? Das bringt Geld. Geld, das man dringend braucht, um irgendwann die alte sozialistische Idee wieder aufleben zu lassen.
»Meyer war dagegen. Ihm war klar, dass etwas schiefläuft. Er hat diskutiert, nächtelang. Hat versucht, seinen alten Genossen klarzumachen, dass keine Idee so ein Geschäft rechtfertigen kann. Wenn wir chemische Waffen in Krisengebiete verkaufen, pervertieren wir alles, wofür wir stehen. Das war seine Meinung. Und damit stand er ziemlich allein. Für seine Genossen ist er so zum Verräter geworden, verstehen Sie?«
Nur zu gut, denke ich.
»Er wollte es verhindern. Unbedingt. Deshalb ist er zur Morgenpost gegangen. Springer-Verlag. Die ganz große Medienmacht. Ideal, um den Skandal öffentlich zu machen.«
Und so kam Kawelka ins Spiel. Natürlich. Den kannte Siggi, weil er bei mir unten im Haus wohnte. Die haben gegenüber in der Kneipe zusammen gesoffen. Der große Geheimdienstagent mit den tollen Geschichten und der kleine Lokalreporter, der mal groß rauskommen wollte. Eine fatale Verbindung. Sie hat Kawelka und einen völlig unbeteiligten Fahrradboten das Leben gekostet. Und Siggi wäre auch beinahe draufgegangen.
»Wer steckt dahinter?«
Susanne Baier zuckt mit den Schultern. »Er hatte zusammen mit dem Journalisten ein umfangreiches Dossier angefertigt. Mit allen Namen,
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